Puppenrache
Blättern, Erde und Zweigen verscharrt, hast gedacht, ich bin tot. Ich bin auf allen vieren gekrochen, irgendwohin, ich konnte nichts sehen, da war bloß dieses ferne Dröhnen von der Straße. Und wenn er noch hier ist?, hab ich mich gefragt. Ich bin weitergekrochen, bis ich gemerkt habe, dass ich an derselben Stelle, einem spitzen Felsen, schon einmal war, ich bin im Kreis gekrochen, orientierungslos. Ich hab geheult… ich hab gefroren… ich… ich bin weitergekrochen und irgendwann wurde es heller und ich konnte endlich wieder etwas sehen. Ich schlug mich durchs Gestrüpp und kam an die Matratze und… da war überall Blut und da hab ich an mir heruntergesehen, ich war nackt und klebrig von Blut und Erde. Ich hab’s zur Straße geschafft. Aber ich wollte nicht zu einem Mann in ein Auto steigen, nicht noch einmal. Ich hab mich hinter Büschen versteckt. Erst als ein Lkw kam, bin ich losgelaufen. Ein Lkw mit einem Riesenfirmenlogo. Ich hab gedacht, der würde sich nicht trauen, mir was zu tun. Da wär er seinen Job los. Der Lkw hat angehalten und mich zur Polizei gefahren.« Sie verstummte. Sie merkte, dass sie zitterte. »Also, hör mir gut zu. Ich sag es nur ein Mal, ja?« Sie beugte sich ein wenig mit dem Revolver nach unten. »Ich hab noch nie, noch nie in meinem Leben etwas ernster gemeint als das: Ich werde dich töten. Aber langsam. Mir fällt da ein Film ein. Den hab ich mit meiner Freundin Amber angeguckt, als ihre Eltern nicht da waren. Amber hab ich nie wiedersehen können. Wegen dir. Weil ich meine Identität ändern musste. Aber das nur nebenbei. Wo waren wir? Richtig. Beim Film. Es war ein Kriegsfilm, es kamen Asiaten und Amerikaner vor, Dschungel und Hubschrauber. Und da saßen irgendwann mal zwei gefangene Soldaten an einem Tisch in so einer Hütte und mussten sich abwechselnd den Revolver an die eigene Schläfe halten und abdrücken. Es war nur eine Kugel in der Trommel. Tolles Spiel, oder? So was hab ich mir für dich vorgestellt. Nur mit dem Unterschied, dass es nur einen Gefangenen gibt. Nämlich dich. Jedes Mal, wenn ich in die Küche zurückkomme, dreh ich die Revolvertrommel, setze den Lauf auf deine Stirn und drücke ab. Vielleicht hast du Glück und die Kugel sitzt schon in der ersten Kammer. Wer weiß das schon? Oder soll ich dich lieber in das Loch unter dem Fußboden sperren und verhungern lassen? Was meinst du? Ich könnte auch eine giftige Schlange zu dir hinunterwerfen, hier soll’s etliche davon geben…«
»Hallo, bist du da?« Alex’ Stimme riss sie in eine andere Wirklichkeit. Gleich darauf klopfte es.
Hastig suchte sie nach einem Platz, wo sie den Revolver verschwinden lassen konnte. »Gleich!«, rief sie und schob ihn unters Sofa, dann machte sie die Tür auf.
»He, du schließt ab? Ich hab schon gedacht, du bist weg, weil die Tür zu war.« Alex hatte Ronnie auf dem Arm.
»Ach ja… nein, ich…«, stammelte sie.
Alex machte einen Schritt über die Schwelle. »Hey, du hast ja schon geputzt! Kann ich dir noch was helfen?«
»Nein… alles erledigt!« Sie warf schnell einen Blick über die Schulter zum Sofa, nein, der Revolver blitzte nicht darunter hervor.
»Dann hab ich den ja umsonst mitgebracht.« In der freien Hand schwenkte Alex einen roten Plastikeimer.
»Na ja…« Einen Moment lang dachte sie, sie müsste ihn aus der Küche verschwinden lassen, so intensiv hatte sie sich das eben vorgestellt.
»Wow! Ist echt sauber!« Alex ließ bewundernd ihren Blick durchs Zimmer schweifen. »Also, ich hasse putzen. Ich schieb es immer auf. Und die Wäsche erst! Die Waschmaschine schleudert nicht mehr. Aber ich kann mir keine neue leisten. Und mit dem Kleinen hat man immer dreckige Sachen, hast es ja gesehen.« Sie seufzte und strich dem Baby übers Haar. »Stimmt’s, Ronnie?«
»Beim Putzen vergeht die Zeit«, sagte Sara und dachte an ihre Jobs an der Supermarktkasse. »Und außerdem kann man dabei seine Gedanken ordnen.« Und Rachepläne schmieden, hätte sie hinzufügen sollen.
»Tja, ich glaub, bei mir gibt’s nicht viel zu ordnen«, sagte Alex und lachte auf. »Es ist einfach das reinste Chaos«, sie tippte sich an die Schläfe, »da oben, meine ich. Ich hab echt keine Ahnung, wie es weitergehen soll. Ich kann ja nicht ewig hierbleiben.«
»Hm. Manchmal ergibt sich auch was«, erwiderte Sara. »Ich meine, etwas, an das man nie gedacht hat.«
»Stimmt«, sagte Alex, »aber bei mir hat so was immer nur noch alles schlimmer gemacht.«
»Willst du einen Kaffee?«,
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