Puppenspiel - Inspektor Rebus 12
sehr.
»Versprochen?«, wiederholte sie.
»Okay«, sagte er. »Versprochen.«
Dann drehte er sich um und zwinkerte ihr zu. Auf dem Revier begab Siobhan sich zur Toilette, setzte sich dort in eine Kabine und starrte auf ihre Hand, die sie sich in Augenhöhe vors Gesicht hielt. Die Hand zitterte leicht. Merkwürdig, wie man zwar innerlich beben, diesen Zustand nach außen hin aber verbergen konnte. Obwohl ihr Körper durchaus etwas von ihren inneren Zuständen preisgab: etwa in Form von Ausschlägen oder, wenn an ihrem Kinn oder Hals mal wieder Akne aufblühte oder durch Ekzeme, die gelegentlich am Daumen oder Zeigefinger ihrer linken Hand auftraten.
Im Augenblick zitterte sie allerdings, weil sie nicht mehr richtig zwischen Wichtigem und Unwichtigem zu unterscheiden vermochte. Wichtig war, dass sie gute Arbeit leistete. Wichtig war ferner, dass sie Gill Templer nicht verprellte. Außerdem hatte sie nicht das dicke Fell eines Rebus. Wichtig waren zudem die Ermittlungen und vielleicht noch Quizmaster. Allerdings fuchste es sie gewaltig, dass sie selbst das nicht genau wusste. Eines allerdings wusste sie: dass dieses Rätselspiel für sie zu einer Obsession zu werden drohte. Ein ums andere Mal versuchte sie, sich in Flip Balfours Situation zu versetzen, sich in die Denkgewohnheiten des Mädchens einzufühlen. Nur dass sie keinen Maßstab dafür hatte, wie gut ihr das gelang. Und dann war da noch Grant, der ihr zusehends zur Last wurde. Trotzdem wäre sie ohne ihn niemals so weit gekommen. Also sprachen trotz allem gute Gründe dafür, ihn sich warm zu halten. Sie wusste ja nicht einmal, ob es sich bei Quizmaster überhaupt um einen Mann handelte. Aus dem Bauch heraus war sie sich zwar sicher, dass es so war, aber auf dieses Gefühl allein konnte man sich nicht verlassen. Schließlich hatte sie schon mehrmals erlebt, wie selbst Rebus mit seinen Intuitionen gründlich danebengelegen und die Schuld oder Unschuld eines Menschen völlig falsch beurteilt hatte.
Sie dachte an den Pressejob, überlegte, ob sie sich in dieser Hinsicht bereits alle Chancen verbaut hatte. Gill verdankte ihren Aufstieg ohne Frage dem Umstand, dass sie sich in ihrem Auftreten den männlichen Kollegen, also Leuten wie Carswell, angepasst hatte. Vermutlich fand sie selbst sogar, dass sie lediglich das System für sich arbeiten ließ. Siobhan hingegen war es immer schon so erschienen, als ob Gill sich an das System anpasste und darauf bedacht war, möglichst nirgends anzuecken. Dieser Denkungsart entsprach es auch, dass man Barrieren errichtete, sich unnahbar zeigte. Und natürlich, dass man anderen Leuten Lektionen erteilte: siehe Ellen Wylie.
Sie hörte, wie quietschend die Tür zu den Toiletten geöffnet wurde. Kurz daraufklopfte jemand leise an ihre Kabinentür.
»Siobhan? Bist du da drin?«
Siobhan erkannte die Stimme: Dilys Gemmill, eine der uniformierten Kolleginnen. »Was gibt's denn, Dilys?«, sagte sie.
»Wegen heute Abend. Ich wollte nur fragen, ob du mitkommst.«
Eine Art Stammtisch: vier oder fünf Polizistinnen und Siobhan. Eine Kneipe mit lauter Musik, dazu etliche Moscow Mules und jede Menge Klatsch. Siobhan war in dem Club fast so etwas wie ein Ehrenmitglied: die einzige Zivilbeamtin, die die anderen Frauen je eingeladen hatten.
»Ich fürchte, ich schaffe es einfach nicht, Dilys.«
»Ach, komm...«
»Beim nächsten Mal ganz sicher, Ehrenwort.«
»Na, dann kann ich ja gleich bis zu deiner Beerdigung warten«, sagte Gemmill und zog sich wieder zurück.
»Das will ich nicht hoffen«, murmelte Siobhan, stand auf und entriegelte die Tür. Rebus stand gegenüber der Kirche auf der anderen Straßenseite. Obwohl er eigens nach Hause gefahren war, um sich umzuziehen, konnte er sich nicht dazu entschließen, in das Gebäude hineinzugehen. Ein Taxi fuhr vor, und Dr. Gurt stieg aus. Als er stehen blieb, um sein Jackett zuzuknöpfen, sah er Rebus. Bei dem Gotteshaus handelte es sich um eine kleine Gemeindekirche, genau wie Leary es sich gewünscht hatte. Jedenfalls hatte er sich Rebus gegenüber in ihren Gesprächen gelegentlich in diesem Sinne geäußert.
»Schnell, anständig und schlicht«, hatte er gesagt. »So möchte ich es haben.«
Wenn die Kirche auch klein war, auf die Trauergemeinde traf das bestimmt nicht zu. Der Trauergottesdienst wurde vom Erzbischof höchstpersönlich zelebriert, der gemeinsam mit Leary in Rom am Collegium Scotium studiert hatte, und in der Kirche hatten sich bereits dutzende von geistlichen Herren
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