Puppenspiel - Inspektor Rebus 12
auch zu einer Adresse gehören.«
»Oder es ist eine Koordinate.«
Er sah sie an. »Auf einer Landkarte?«
»Aber was für eine?«
»Vielleicht sagt uns das der Rest des Rätsels. Wie gut kennen Sie sich im schottischen Recht aus?«
»Meine Prüfungen sind schon ein Weilchen her.«
»Tja, meine auch. Vielleicht gibt es irgendeinen lateinischen Begriff für dear, ›teuer‹, der etwas mit law, also mit dem Gesetz zu tun hat.«
»Wir könnten das ja mal in der Bibliothek nachschlagen, außerdem ist da gleich in der Nähe eine Buchhandlung.«
»Keine schlechte Idee.«
Er sah auf die Uhr. »Allerdings ist mein Parkschein in drei Minuten abgelaufen.« Rebus saß an seinem Schreibtisch - fünf Blatt Papier vor sich ausgebreitet. Alles andere hatte er auf den Fußboden verfrachtet: Akten, Berichte und dergleichen. Im Büro war es ruhig: Die meisten Kollegen waren zum Garfield Square gefahren, wo gerade eine Lagebesprechung stattfand. Wenn sie bei ihrer Rückkehr das Chaos sahen, das er angerichtet hatte, konnte er sich auf einiges gefasst machen. Sogar sein Computerbildschirm stand mitsamt der Tastatur zwischen den Schreibtischen und versperrte den Durchgang, und daneben hatte er noch einen Stapel Ablageschalen deponiert.
Vor sich auf dem Tisch hatte er fünf Schicksale: vielleicht sogar fünf Mordopfer. Die Jüngste dieser Frauen war Caroline Farmer, die mit sechzehn Jahren einfach vom Erdboden verschwunden war. Erst vor wenigen Stunden war es Rebus gelungen, mit ihrer Mutter zu sprechen. Kein einfacher Anruf.
»Oh, mein Gott - gibt es was Neues?« Ein kurzer Hoffnungsschimmer, dann seine ernüchternde Reaktion. Trotzdem hatte er erfahren, was er wissen wollte. Caroline war auch später nie wieder aufgetaucht. Als damals ihr Foto in der Zeitung erschienen war, hatten sich zunächst noch ein paar Leute gemeldet, die sie gesehen haben wollten. Doch seither nichts mehr.
»Wir sind letztes Jahr umgezogen«, sagte ihre Mutter. »Und da mussten wir auch ihr Zimmer ausräumen.«
Aber in dem Vierteljahrhundert zuvor, so vermutete Rebus, war Carolines Zimmer unverändert geblieben: dieselben Poster an den Wänden und die Kleider eines Teenagers aus den frühen Siebzigerjähren ordentlich zusammengelegt in der Kommode.
»Damals haben manche sogar geglaubt, dass wir ihr was angetan haben«, fuhr die Mutter fort. »Ich meine: wir - ihre eigene Familie.«
Rebus verkniff sich die Bemerkung: Leider steckt nur allzu häufig der eigene Vater oder ein Onkel oder Cousin dahinter.
»Und dann sind sie über Ronnie hergefallen.«
»Carolines damaliger Freund?«, fragte Rebus.
»Ja. Der Junge war doch noch ein halbes Kind.«
»Wenn ich es recht weiß, hatten sich die beiden aber doch getrennt.«
»Ach, Sie wissen doch, wie Teenager sind.« Die Frau sprach, als ob ihre Tochter erst vor ein, zwei Wochen verschwunden wäre. Rebus konnte sich lebhaft vorstellen, dass die schrecklichen Erinnerungen sie bis heute verfolgten und jederzeit mit ihrer ganzen Wucht zurückkehren konnte.
»Aber man konnte ihm natürlich nichts nachweisen?«
»Nein, natürlich nicht. Und irgendwann haben sie ihn dann in Ruhe gelassen. Aber der Junge hat sich nie richtig davon erholt. Schließlich ist die Familie weggezogen. Er hat mir sogar noch ein paar Jahre geschrieben...«
»Mrs. Farmer...«
»Ich heiße jetzt wieder Ms. Colquhoun. Joe hat mich verlassen.«
»Oh, das tut mir Leid.«
»Mir überhaupt nicht.«
»Ist es wegen...?« Er hielt inne. »Entschuldigung, geht mich ja nichts an.«
»Er hat nie viel darüber gesprochen«, entgegnete sie nur.
Rebus überlegte, ob Carolines Vater seine Tochter vielleicht eher hatte loslassen können, anders als die Mutter.
»Möglich, dass die Frage völlig absurd klingt, Ms. Colquhoun - aber hatte die Schlucht von Dunfermline für Caroline eine Bedeutung?«
»Ich... also ich versteh nicht ganz, worauf Sie hinauswollen.«
»Nicht so wichtig. Wir bearbeiten zurzeit einen Fall, und da spricht manches dafür, dass die Sache entfernt mit dem Verschwinden Ihrer Tochter zu tun haben könnte.«
»Inwiefern?«
Sicher würde er der armen Frau keine Freude damit machen, wenn er ihr jetzt von dem Sarg in der Schlucht berichtete. Deshalb griff er auf eine alte Standardausrede zurück und sagte bloß: »Leider kann ich Ihnen dazu im Augenblick nichts sagen.«
Am anderen Ende der Leitung war ein paar Sekunden lang Stille. »Sie ist gerne in der Schlucht spazieren gegangen.«
»Allein?«
»Ja - wenn ihr danach
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