Puppenspiele
soll der Scheiß?« Karen wollte möglichst viele Informationen aus Niklas herausholen. Vielleicht konnte ihr irgendetwas nützen. Dabei schwankte sie zwischen einem möglichst unverbindlichen Tonfall, um ihren Entführer nicht zu provozieren, und haltloser Wut auf ihn, die sie unbedingt kontrollieren musste.
»Nur eine kleine Nachhilfe in Selbsterkenntnis. Anders war es ihnen nicht beizubringen. Du hättest mal Sandrine hören sollen. Die hatte keine Ahnung, dass sie ein Homunkulus ist. Herumgeschrien hat sie und geflennt und geleugnet. Statt voller Stolz in den Spiegel zu sehen und mit mir ein neues Leben anzufangen. Ein erhöhtes Leben jenseits vom Mittelmaß.«
»Ach, du meine Güte, hältst du dich für etwas Besonderes? Für so eine Art Übermensch à la Nietzsches ›Zarathustra‹? Einer mit Sonderrechten wie der Lizenz zum Töten?«
Niklas sah sie interessiert an. In seinen Augen blitzte Kälte: »Und du? Hältst du dich nicht für was Besonderes?«
Karen schwieg. Sie war schon als Kind hübscher gewesen als alle anderen. Intelligenter. Sportlicher. Sie hatte niemals Mühe gehabt, irgendetwas zu lernen. Naturwissenschaften? Hervorragend. Philologie? Sie sprach mehrere Sprachen fließend. Hatte zwei Studiengänge mit Auszeichnung abgeschlossen. Preise beim Karate, Schwert- und Stockkampf gewonnen. Schon immer betrachteten und behandelten andere sie als etwas Besonderes. Mitschüler, Lehrer, Freunde, Neider, Professoren, Kollegen und Konkurrenten … Niklas hatte recht. Auch sie hielt sich für etwas Besonderes. Sie kannte es nicht anders. Gleichzeitig wusste sie aber auch, was sie mit allen anderen Menschen verband und letztlich gleichmachte: die Sterblichkeit. Vielleicht hatte Karen deshalb ihr berufliches Leben der Erforschung des Todes gewidmet. Der Tod machte demütig. »Erzähl mir von meinen Schwestern«, forderte sie Niklas auf.
»Mira und Catrin waren fast so hübsch wie du. Sandrine nicht mal halbwegs. Hochbegabt waren sie alle. Aber sie zogen nicht die richtigen Konsequenzen daraus. Machten sich klein. Passten sich an. Simulierten, normale Menschen zu sein. Jede für sich war eine Enttäuschung. Ich hoffe, du bist anders.«
Die Wut brach aus Karen hervor: »An mir wirst du auch nicht viel Freude haben. Ich werde dich töten, wenn ich die Gelegenheit bekomme!«
Niklas grinste. »Das gefällt mir. Du jammerst wenigstens nicht elend herum.«
Karen war etwas erleichtert. Sie durfte sich solche Provokationen nicht leisten. Also schaltete sie wieder einen Gang zurück. »Wieso haben dich Mira, Catrin und Sandrine enttäuscht?«
»Willst du dir Vorteile durch Information verschaffen? Hast du das nötig?«
»Dann sag mir wenigstens eins: Haben Sie mir ähnlich gesehen? Ich kenne nur ein paar miese Fotos. Und die Leichen. Die haben sich selbst nicht mehr ähnlich gesehen.«
Niklas schwieg kurz und nippte an seinem Kaffee. Auch er trank ihn schwarz und ohne Zucker. »In Straßburg und in Paris trug ich aufgepolsterte Wangen, Kontaktlinsen sowie gefärbte Haare und einen falschen Schnurrbart. Genau wie all die anderen hast du mich bislang immer nur getarnt und niemals im Originalzustand gesehen.« Langsam nahm er die Baseballkappe vom Kopf und zog die Sonnenbrille aus. Er hatte exakt die gleiche flüssiggoldene Haarfarbe wie Karen, das gleiche eindringliche Kornblau leuchtete aus seinen Augen. Liesel Stammingers Phantombild wurde dem wahren Niklas nicht gerecht. »Ich würde sagen, von all deinen Halbgeschwistern sehe ich dir eindeutig am ähnlichsten.«
Düsseldorf.
Die Taxifahrt von dem Sterne-Restaurant zu Clarissa Wedekinds Penthouse war in einer Art Hochspannungs-Schweigen verlaufen. Auch im Aufzug war kein Wort gefallen. Die beiden Schwestern hatten jeglichen Blickkontakt vermieden, als würden sie sich vor dem entscheidenden Duell noch einmal sammeln müssen. Jetzt saßen sie sich in Clarissas cremefarbenen Polstern gegenüber, bewaffnet mit Whisky und Wasser, Hass und Angst. Christian war nicht ganz glücklich mit der Entscheidung, in Wedekinds Wohnung zu fahren. In einer offiziellen Umgebung wie dem Polizeipräsidium konnte er mehr Druck machen. Die meisten Menschen ließen sich allein schon durch die nüchternen Räumlichkeiten eines Vernehmungszimmers einschüchtern. Im Penthouse war Clarissa Wedekind in ihrem Reich. Andererseits hatte er durch das Mitbringen von Evelyn Kopper einen ungewöhnlichen, inoffiziellen Weg eingeschlagen. Und Wedekind war sowieso nicht der Typ, der sich von
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