Puppenspiele
letzten Beamten waren mit den Einsatzwagen vor der Tür abgerückt. Die Polizistin, die auf der Bank geschlafen hatte, und ein weiterer Bereitschaftspolizist würden über Nacht im Hause Jacob bleiben. Weyrich verabschiedete sich zögerlich auf morgen. Er hatte eingesehen, dass eine weitere Nacht ohne Schlaf ihn seine Funktionstüchtigkeit kosten würde. Auch Christian und Anna wollten sich in ihr Hotel am Seeufer zurückziehen, um den nächsten Morgen abzuwarten, der als größten Schrecken die völlige Ereignislosigkeit barg. Sie wussten ebenso wie Weyrich, dass der nächste Tag entscheidend sein würde. Entweder würden sie Jenny finden, oder die Chance auf ihr Überleben stand schlecht. Mit diesem Gedanken schlafen zu gehen, erschien schlichtweg unmöglich. Weyrich bot Christian und Anna an, sie auf seinem Nachhauseweg am Hotel abzusetzen.
Als die drei vor die Tür traten, fuhr ein Taxi vorm Hause Jacob vor. Die hintere Tür öffnete sich. Jenny stieg aus. Sie hielt ein Kätzchen im Arm.
München.
Petra stand mit Jochen Kratz vor der Weininger-Villa und klingelte. Es dauerte nicht lange, bis Martha Weininger die Tür öffnete und Petra freundlich begrüßte. Allerdings warf sie einen irritierten Blick auf Kratz. »Sie hatten am Telefon nicht erwähnt, dass Sie in Begleitung kommen.«
Ein leichter Vorwurf schwang in Martha Weiningers gestrenger Stimme mit.
»Oh, ich vergaß. Das ist Jochen Kratz …«
»Ein Freund von Frau Professor Rahnberg«, unterbrach Kratz eilig und reichte Martha Weininger die Hand. Er wollte vermeiden, dass Petra Rahnberg tat, was sie nun trotzdem tat: »Ein Journalist aus Berlin, der über die Mordfälle berichtet«, berichtigte Petra. Sie hatte keine Lust, das offene Gespräch, das sie sich erhoffte, schon im Vorwege durch Halbwahrheiten in Gefahr zu bringen.
Frau Weininger hob die Augenbrauen, bat die beiden herein und wies Petra den Weg zum Salon: »Wenn Sie sich bitte schon mal hineinsetzen würden? Ich gebe meiner Tochter Bescheid, dass Sie da sind.« Dann wandte sie sich an Kratz: »Würden Sie bitte während unseres Gesprächs hier im Foyer warten?«
»Ich kann gerne noch mal hinausgehen und durch den Dienstboteneingang wieder hereinkommen.«
Martha Weininger würdigte Kratz keines Blickes, sondern stieg in betont königlicher Haltung die breite Holztreppe ins obere Stockwerk.
»Das war nicht nötig«, zischte Petra Kratz zu.
»Doch. Und herzlichen Dank noch für mein Outing als Journalisten-Arsch.«
Petra zuckte mit den Schultern und ging in den Salon. Der Raum wurde von einer holzgetäfelten Decke verdunkelt, die Wände waren voller Bücherregale. Vor dem riesigen französischen Fenster stand ein Flügel. In der Mitte des Raumes waren mehrere Sessel um einen antiken Holztisch mit floralen Intarsien gruppiert, auf dem drei Tassen aus feinstem Porzellan und eine dampfende Teekanne standen, die ein leichtes Aroma von Minze verströmte. Neben dem Tisch befand sich eine passende Kredenz mit einer beeindruckenden Auswahl an Alkoholika. Der Salon vermittelte einen muffigen Eindruck von überkommener Großbürgerlichkeit.
Petra hatte kaum Platz genommen, als Martha Weininger mit Sybille den Raum betrat. Wie zwei Wochen zuvor Christian sprang nun auch Petra der frappierende Unterschied zwischen Mutter und Tochter ins Auge. Sosehr Martha Grande Dame war, sosehr war Sybille graue Maus. Im Gegensatz zu ihrer Mutter schien sie nachlässig frisiert. Sie trug ein Chanel-Kostüm der vorvorletzten Saison, das zudem noch äußerst schlecht saß. Der Händedruck, mit dem sie Petra begrüßte, war so schlaff wie ihre ganze Haltung. »Wie nett, dass Sie uns besuchen.« Auch ihre Stimme ließ jeglichen Glanz vermissen.
Die drei Frauen setzten sich. Martha bot Cognac, Wein, Likör oder Tee an. Petra entschied sich für den Tee. Sybille nahm nichts. Sie saß einfach nur da und knetete ihr Stofftaschentuch.
»Es ist nicht nur die Verbundenheit durch unser gemeinsames Schicksal, was mich hergeführt hat.«
»Das habe ich mir gedacht«, erwiderte Martha Weininger. »Dennoch erlauben Sie mir vor allem anderen, unser Beileid für Ihren Verlust auszusprechen. Wir wissen, was Sie fühlen. Mira war unser Ein und Alles.«
Die drei Frauen schwiegen eine Weile und ehrten so das Andenken an ihre verstorbenen Kinder. Petra begann zu ahnen, wie entschieden die Großmutter im Weiningerschen Haushalt das Zepter schwang. Wenn Martha Weininger von »wir« und »uns« sprach, wirkte es wie der Pluralis
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