Puppenspiele
Majestatis. Sie bat Petra, ein wenig von Catrin zu erzählen. Petra kam der Aufforderung gerne nach, auch wenn es ihr schwerfiel, dabei ihre Tränen zu unterdrücken. Allerdings zeigte sich Martha nicht wirklich an Catrins Leben interessiert. Sie nutzte Petras Beschreibungen lediglich als willkommene Stichwortsammlung, um von ihrer Enkelin Mira zu schwärmen und ihren eigenen Schmerz auszudrücken. Sybille hingegen hörte sehr konzentriert zu und saß nun mit gequälter Miene leicht nach vorne gebeugt, als würde sie Petras emotionalen Aufruhr in ihren eigenen Eingeweiden spüren.
»Dann war also auch Ihre Catrin eine besonders begabte junge Frau«, fasste Martha Weininger leicht gönnerhaft zusammen, als Petra endete. »Sie haben erwähnt, dass Sie wie meine Tochter Sybille bei der Erziehung auf die zweifelhafte Unterstützung eines Mannes verzichteten?«
»Mama!« Sybille Weiniger hatte gesprochen.
Petra lächelte die beiden freundlich an: »An manchen Tagen hätte ich gerne etwas von dieser zweifelhaften Unterstützung genossen, wie Sie es nennen. Ich bin zwar durchaus eine autarke Frau, aber ich verachte Männer nicht.«
Martha lächelte kalt: »Verachtung wäre auch wohl zu viel der Ehre.«
Petra beobachtete im Augenwinkel, wie Sybille wieder in sich zusammensackte. Langsam wurde ihr klar, wieso Martha Weiningers Tochter, die maximal Anfang fünfzig sein mochte, schon so verblüht schien. Sie verbrachte ihr Leben im übermächtigen Schatten der Mutter – mutmaßlich unter Ausschluss von Männern und deren Zuneigung. Petra überlegte kurz, ob sich Mira, die Enkelin, wohl von ihrer Großmutter hatte emanzipieren können. Sie wandte sich direkt an Sybille: »Darf ich Sie nach Miras Vater fragen?«
Sofort schritt Martha ein: »Finden Sie das nicht ein wenig impertinent? Unser gemeinsames Schicksal rechtfertigt wohl kaum derartige Indiskretionen!«
Petra entschuldigte sich halbherzig für die unumwundene Form der Frage, beharrte jedoch auf dem Inhalt. Wieder wandte sie sich dabei an Sybille: »Ich will Ihnen nicht zu nahetreten, aber sicher quält Sie die Unwissenheit über den Grund für den Tod unserer Töchter ebenso wie mich.«
Sybille nickte stumm und knetete wieder ihr Taschentuch.
»Zumal die Umstände sowohl bei meiner Catrin wie auch bei Ihrer Mira … äußerst bemerkenswert waren. Sind Sie darüber informiert, dass vor wenigen Tagen in Straßburg eine junge Frau ermordet wurde – unter ähnlichen Umständen wie unsere Töchter?«
Weder Martha noch Sybille hatten davon gehört. Also fasste Petra kurz die Ereignisse in Frankreich zusammen. Die Weininger-Frauen zeigten sich ehrlich erschüttert. Doch Martha hatte sich besser im Griff. »Ich nehme an, Sie zielen mit Ihrem Besuch bei uns und dem offensichtlichen Zusammenhang zwischen den Morden auf etwas Bestimmtes ab?«
Petra bejahte: »Deswegen zwingen mich gewisse Überlegungen leider dazu, noch einmal indiskret zu werden.«
Sie stand auf, ging zu Sybilles Sessel und bückte sich vor ihr, sodass sie ihr in die Augen sehen konnte. Dann stellte sie ihre Frage. Sybilles Augen weiteten sich überrascht, sie blickte Hilfe suchend zu ihrer Mutter.
»Wie kommen Sie darauf?«, fragte Martha scharf.
»Weil es sich bei Catrin auch so verhielt. Falls Sie jetzt offen zu mir sind und ich mit meiner Vermutung recht habe, dann fahre ich nach Straßburg und befrage Madame Lacour, die Mutter des französischen Opfers. Wenn auch sie Ja sagt, werde ich mit Kommissar Beyer reden.«
Martha schien nachzudenken.
Plötzlich erhob sich Sybille aus ihrem Sessel: »Ich komme mit nach Straßburg.«
»Das wirst du nicht!«, schaltete sich Martha ein.
»Doch, das werde ich, Mutter. Mira war meine Tochter, auch wenn du immer so getan hast, als wäre sie deine. Die Tochter, die du immer haben wolltest. Und die ich nie sein konnte. Aber Mira war meine Tochter. Ich vermisse sie. Mira war das einzig Gute, was ich im Leben hatte. Ich will, dass ihr Mörder bestraft wird. Und deswegen fahre ich nach Straßburg!«
»Heißt das, ich liege richtig?«, vergewisserte sich Petra. Sie hatte im Moment keinen Sinn für den in kargen Sätzen ausgetragenen, aber nichtsdestotrotz elementaren Kampf der beiden Weininger-Frauen. Sie war viel zu aufgewühlt. Erst jetzt begriff sie, dass nicht einmal sie selbst an ihre Theorie geglaubt hatte. Dass sie nur hierhergefahren war, um nicht elend zu Hause zu sitzen und den Faden zu verlieren, an dem sie sich von Tag zu Tag
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