Puppenspiele
Polizei von Frau Jacob alarmiert worden war. Jenny war am vorigen Abend vermutlich gegen neun Uhr verschwunden. Der Nachbar hatte zu der Zeit im Halbschatten einen Mann durch den Jacobschen Garten gehen sehen, der etwas Großes über seiner Schulter trug und dann in einen Wagen stieg und Richtung Osten davonfuhr. Haus und Garten waren von der Spurensicherung gründlich untersucht worden, die Großfahndung nach der vom Nachbarn beschriebenen dunkelfarbigen Mittelklasse-Limousine mit Düsseldorfer Kennzeichen in Gang. Glücklicherweise hatte die überregionale Presse noch nichts von den Vorgängen in und um Haltern am See mitbekommen. Mit der lokalen Presse hatte er ein Stillhalteabkommen getroffen. Es würde aber nicht mehr lange dauern, bis TV- und Radiostationen über die Familie Jacob herfielen. Weyrich hoffte, das noch so lange wie möglich hinauszögern zu können. Eine Veröffentlichung der Fakten zum falschen Zeitpunkt konnte fatale Folgen haben. Christian stimmte ihm uneingeschränkt zu.
Die Fangschaltung am Telefon war installiert. Die Nachbarn befragt. Ebenso alle Jugendlichen, die mit Jessica an der Eisdiele gewesen waren und den geheimnisvollen Unbekannten gesehen hatten. Alle verfügbaren Polizisten des Landkreises sowie jede Menge Nachbarn und Freunde der Jacobs befanden sich draußen in unwegsamem Gelände auf der Suche nach der kleinen Jenny. Sie durchkämmten Straßen, Felder und Wälder, drehten jeden Stein um. Selbst in der Nacht hatten sie keine Pause gemacht. Sie arbeiteten in Schichten. Bislang ohne jede Spur. Seit heute Morgen war zusätzlich ein Polizeihubschrauber im Einsatz. Schon am vorigen Abend, solange es zumindest noch ein Fitzelchen Sicht gegeben hatte, war der See von Polizeitauchern untersucht worden. Im Laufe des heutigen Tages hatten sie noch einmal alle Planquadrate abgetaucht. Ohne verwertbares Ergebnis.
Weyrich und Christian schwiegen eine Weile und blickten zum Fenster hinaus. Die Nacht brach bald herein. Die zweite Nacht für Jenny. Falls sie noch lebte. Christian und Weyrich kannten die Statistiken: Knapp neunzig Prozent der in Deutschland Entführten kommen lebend frei. Bei den Kindern nur circa fünfzig Prozent. Das Tötungsrisiko ist am Tag der Entführung am höchsten und sinkt nach vier Tagen deutlich ab. Das Tötungsrisiko ist außerdem bei Einzeltätern so wie bei nicht maskierten Tätern ungleich höher. Doch weder Christian noch Clemens Weyrich sprachen ihre grausigen Befürchtungen aus. Es war nicht nötig.
Per Handy bekam Weyrich Bescheid, dass der Einsatz der Taucher ergebnislos abgebrochen wurde. Auch die Suchmannschaften in den Wäldern kehrten zurück. Morgen würden sie das Gebiet ausdehnen. Heute Abend jedoch würde erst einmal jeder einzelne Beamte müde und frustriert nach Hause fahren zu seiner Familie, wenn er denn eine besaß, in das Zimmer seiner Kinder gehen, wenn er denn welche besaß, und ihnen einen Gutenachtkuss geben in stummer Angst vor dem Unaussprechlichen, das jeden Tag, in jedem kleinen und friedlichen Ort, in jeder Straße, in jedem Haus passieren konnte.
»Nichts. Keine Spur«, durchbrach Weyrich die Stille. »Wir wissen nicht einmal, ob der Täter mit der Kleinen noch hier in der Gegend ist oder ob er schon längst das Weite gesucht hat. Was denkst du?«
»Ich denke, du und deine Leute, ihr solltet unbedingt ein wenig schlafen.«
»Schlafen kann ich, wenn ich tot bin.«
Wenn Jenny tot ist, dachte Christian.
»Gibt es irgendeine Chance? Ist der Entführer euer Mann? Sag mir bitte, dass du Antworten hast.« Weyrich lächelte ihn hoffnungslos an.
»Du weißt doch, wie das läuft. Die Eltern sind nicht vermögend. Es handelt sich wohl kaum um eine Entführung mit Lösegeldforderung. Falls es nicht unser Mann ist und es sich nicht um eine geplante Erpressung handelt, dann sagt die Statistik, dass der Täter mit relativ hoher Wahrscheinlichkeit aus dem Kreis der Familie oder Bekannten kommt. Dann könnte die Kleine noch in der Gegend sein.«
»Wir sind diesen Thesen nachgegangen. Wir haben die komplette Familie und die halbe Stadt vernommen. Alle einschlägig Vorbestraften im Umkreis von hundert Kilometern überprüft. Nichts. Keine Hinweise. Die Fußabdrücke im Garten, die nicht von Herrn Jacob stammen, bringen uns auch nicht weiter. Standardgröße 43, unspezifische Sohlen.«
»Mehr können wir im Moment nicht tun. Warten, bis die Nacht vorbei ist. Weiter suchen. Hoffen.«
Weyrich sah wieder aus dem Fenster auf die spärlich
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