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Purgatorio

Purgatorio

Titel: Purgatorio Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tomás Eloy Martínez
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vielen gespiegelten Emilias zu erkennen. Sie erinnerte sich an einen Film, der im Spiegellabyrinth eines Vergnügungsparks spielte. Ein Mann versuchte einen anderen umzubringen, eine Frau wollte einen von beiden oder beide umbringen, Emilia war sich nicht mehr sicher, aber in den Spiegeln waren die Frau und die beiden Männer viele, ganze Städte von Menschen, Lichter, die sich untereinander vervielfältigten und brachen. Sie dachte, mit Geduld würde sie eines der Parkettbrettchen lösen und damit auf die Spiegel einschlagen können. Sie tastete den Boden ab, suchte eine Fuge, die Plättchen schienen verschweißt zu sein. An einem der Ränder hob sich bei der Berührung ein Gegenstand ab. Als sie ihn auf die Handfläche nahm, sah sie, dass es eine Haarnadel der Mutter war, die sich vor den Besen und den Angriffen des Staubsaugers hatte in Sicherheit bringen können. Die Mutter hatte als Einzige im Haus Haarnadeln benutzt, diesen Raum aber seit vielen Monaten nicht mehr betreten. Dass etwas von ihr sich zu gehen weigerte, war eine Art geheime Botschaft, ein Hinweis darauf, dass, wenn etwas verharrt und überdauert, es dazu geschaffen worden ist zu bleiben. Sie trat vor den Spiegel und sah die Mutter Simón an der Hand nehmen. Sie sah sie mit ihm dem Weiß des Nichts entgegengehen, sah, wie sich die beiden an der Decke wiederholten und sie riefen. Sie wollte ihnen folgen und wusste nicht, wie sie auf die andere Seite gelangen konnte, wo sie eintreten musste. Verzweifelt hämmerte sie an die Spiegel, bat sie, nicht zu gehen. Ich komm schon, rief sie. Ich komm schon, sagt mir, wie ich zu euch gelangen kann. Doch sie gingen weiter auf das Nichts zu und hörten sie nicht, bis das Weiß auf der anderen Seite seine gefräßigen Lippen aufklappte und sie verschluckte. Auf einmal sah sich Emilia in Tausende widerliche Menschen verwandelt, ihr Wesen kämpfte gegen ihr Wesen, das Wesen, das sie nie gewesen war, bemühte sich, in die Wirklichkeit einzutreten. Wartet auf mich, ich komm schon, ich komm schon.
     
    Ich weiß, dass Emilia, als sie hinauskam, das Haus ihres Vaters verließ und in ihre Wohnung gegenüber dem Parque Lezama zurückkehrte, wo sie ihre wenigen ersten glücklichen Monate als verheiratete Frau verbracht hatte. Sie arbeitete weiterhin im Automobilklub und besuchte zwei-, dreimal wöchentlich die Mutter. In den Dünsten der Klinik verloren, stand Señora Ethel jeden Tag weniger als Mensch auf und legte sich weniger als Körper schlafen. Sie war wie Señor Ga, eine Figur von Macedonio Fernández, der nacheinander eine Lunge, eine Niere, die Milz, der Dickdarm entfernt wurden, bis er den Arzt anrief, um sich die Schmerzen am einen Fuß lindern zu lassen; der Arzt untersuchte ihn, schüttelte den Kopf und sagte, auch der Fuß müsse entfernt werden. Die Mutter glich dem, was das Land damals war, dem, was zwanzig Jahre später ich zu sein befürchtete. Ich weiß, dass es dort war, in San Telmo, wo Emilia den Brief von der Tante väterlicherseits bekam, die Simón in einem Theater in Rio de Janeiro begegnet sein wollte, den Brief, der sie veranlasste, sich auf die Suche zu machen und die sieben Terrassen ihres Liebesfegefeuers hinaufzusteigen.
    Die Geschichte war unruhig, in unablässiger Bewegung, gleichgültig gegenüber den Niederlagen, den Toden und den immer flüchtigeren Freuden. Damals lebte ich in Caracas, lernte bei Parmenides, dass das Nichtsein niemals nur halb Nichtsein ist, was nicht ist, ist es nicht vollständig, ich las weniger Heraklit, weil ihn schon Borges ausgeschöpft hatte, ich las wieder Canetti und Nabokov und Kafka, arbeitete als Gratisarbeiter, schrieb Bücher, für die andere mit ihrem Namen zeichneten, das war das Leben, das man mir gelassen hatte, und da ich keine Wahl hatte, beklagte ich mich nicht. Inzwischen stürzte sich Argentinien in die Wiedereroberung der Falklandinseln, verlor den Krieg, die Militärdiktatur ging in der eigenen Fäulnis unter, und Raúl Alfonsín gewann die ersten demokratischen Wahlen, und Julio Cortázar kehrte nach Buenos Aires zurück, um dem neuen Präsidenten die Hand zu geben, musste aber unverrichteter Dinge wieder nach Paris fahren und starb zwei Monate später vereinsamt; Borges brach krank nach Genf auf und mochte nicht zurück, er wurde auf dem Friedhof Plainpalais beerdigt, ohne den Nobelpreis bekommen zu haben, und auch Manuel Puig starb in einem Krankenhaus in Cuernavaca, aber das war viel später, alle großen argentinischen Schriftsteller

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