Purgatorio
wir ankamen, trug sie ein rosa Cape, das stimmt. Vielleicht glich es dem der Königin. Auf solche Frauendetails achte ich nie. Verschaffen wir uns Gewissheit, ich werde sie wecken. Er stürzte in Emilias Zimmer und knipste das Licht an. Er hätte sie geschüttelt, sie angeschrien, doch die Polizisten sollten nichts hören. Verständnislos richtete sich Emilia im Bett halb auf. Sie war eben erst eingeschlafen. Die Härte, mit der ihr Vater zu ihr sprach, weckte sie vollständig. Seine Wut beunruhigte sie nicht. Sie war sicher, keinen Fehler begangen zu haben, und fand es übertrieben, dass der Polizeichef um drei Uhr früh hier anrief, um etwas zu klären, was vielleicht nur ein Zufall, eine Verwechslung war. Sie sah das von D. für sie ersonnene Cape auf ihrem Lesesessel liegen, neben dem Bett der Mutter. Sie sah das schwarze Kleid auf dem Boden. Nach ihrer Rückkehr vom Fest hatte sie weder Kraft noch Lust gehabt, die Sachen auf einen Bügel zu hängen. Sie war erschöpft und hatte nicht vor, sie noch einmal zu tragen. Da ist mein Cape, schau her, sagte sie zu ihrem Vater. Es ist meins. Sieh es dir genau an, befahl Dupuy. Es kann keine zwei gleichen Kleidungsstücke geben. Das wäre ein zu großer Zufall. Lass mich eine Sekunde allein, Papa. Ich bin im Nachthemd. Ich werde aufstehen und es mir ansehen. Ich gedenke nicht zu gehen, sagte der Vater. Die Polizei wartet. Steh endlich auf. Deine Intimität interessiert mich nicht. Emilia hielt das Cape ans Licht und sah nichts Überraschendes. Es ist meins, ich bin sicher, wollte sie schon sagen, als sie in einer der Falten eine kaum sichtbare rote Schleife erblickte. Das Detail erschreckte sie, doch sie verlor die Ruhe nicht. Wenn es nicht ihr Cape war, würde sie es zurückgeben, und das wär’s dann. Sie studierte es aufmerksamer. Unter dem Kragen befand sich ein winziges Wappen, sehr schön gestickt: das der spanischen Krone, mit dem aufgerichteten Löwen und dem zinnenbesetzten Schloss im linken oberen Feld und den von den Worten
Non Plus Ultra
umsponnenen Herkulessäulen. Die Posamentierarbeit war so minuziös, dass man die Buchstaben mit einer Lupe ganz deutlich hätte entziffern können. Es war nicht ihr Cape. Sie hatte sich geirrt. Die Hitze, das dringende Bedürfnis zu entkommen. Jetzt erinnerte sie sich, dass ihr Cape nicht dort gewesen war, wo sie es hingelegt hatte, und dass sie ohne Zögern das erstbeste genommen hatte. Die Verwechslung brachte sie zum Lachen. Es wäre schön, die Königin aufzusuchen und um Entschuldigung zu bitten. Sie würde ihr zeigen, dass sich die beiden Capes glichen wie ein Ei dem anderen, und sie würde die Verwechslung sogleich verstehen. Sie war sicher, dass sie sagen würde: Da hätte auch ich mich irren können. Sie würde erfahren wollen, wer ihre Modistin war, und Emilia würde ihr von D. erzählen. Ach, übrigens, wo war denn D.s Cape? Irgendwo im Saal, bei den Fundgegenständen. Sie würde ihrem Vater die Geschichte erzählen, und er würde es suchen lassen, bis man es fände. Ihr ganzes Leben lang hatte sie ihn die verzwicktesten Probleme anderer lösen sehen. Sie brachte ihr Haar ein wenig in Ordnung und strich sich das Nachthemd glatt. Papa, rief sie. Dupuy stand noch immer im Schlafzimmer, mit dem Rücken zum Bett, die Hände in die Hüften gestemmt. Es sieht aus, als hätten sie recht. Ich habe ein Cape mitgenommen, das nicht mir gehört. Das ist leicht zu erklären, die beiden Stücke sind fast gleich.
Und das sagst du so, als wäre nichts geschehen? Nichts konnte Dupuys Wut noch bremsen. Die Polizei sieht darin die Hand der Subversion. Um ein Haar wäre ein diplomatischer Zwischenfall ausgelöst worden. Gib mir auch dein Cape. Wenn sie gleich sind, werden wir aus dieser Patsche herausfinden, indem wir beide vorweisen.
Emilia stammelte eine Entschuldigung. Ich kann meins nicht finden. Ich weiß nicht, wo ich es hingetan habe. Ich nehme an, ich habe mich beim Gehen geirrt und das falsche mitgenommen.
Gib mir endlich das, das du hast, sagte Dupuy und riss es ihr aus der Hand. Ich habe wichtige Leute warten lassen, die deinetwegen noch auf sind. Ich verbiete dir zu schlafen. Wir müssen uns jetzt sehr ernst unterhalten. Eine Diebin kann nicht meine Tochter sein. Er setzte sein Seligenlächeln auf, das er für unbehagliche Momente bereithielt, und kehrte zu den Polizisten zurück. Dabei legte er sich die Version zurecht, die die Zeitungen über den Zwischenfall bringen sollten. Emilia verdiente seinen Schutz nicht; es
Weitere Kostenlose Bücher