Purpur ist die Freiheit 01 - Das Leuchten der Purpurinseln
Aus den Ruderdecks drangen Flüche und verpestete Luft, hin und wieder ertönte aber auch ein Lied von dort unten.
Manchmal, wenn das Heimweh besonders heftig war und ihre innere Unruhe nach Bewegung verlangte, ging Mirijam über die glänzenden Bohlen des Mitteldecks bis ganz nach vorn zum Bug. Wenn sie sich weit über das Schanzkleid beugte, konnte sie sehen, wie das glitzernde Wasser wie mit einer Klinge vom schlanken Schiffsrumpf zerteilt wurde. Manchmal hatte sie Glück, dann umspielten Tümmler die Bugwellen, und es schien ihr, als zögen die Tiere die Palomina wie Kutschpferde voran.
Die wenige Bewegung, die stickige Kajüte mit der schmalen, hochgelegenen Luke und die Langeweile machten ihr zu schaffen. Sie fühlte sich beengt, besonders seitdem Lucia ihre Truhen ausgepackt und den gesamten Inhalt um sich herum ausgebreitet hatte. Andauernd suchte die Schwester nun etwas in dem Durcheinander, das sie selbst angerichtet hatte, und verschlimmerte die Unordnung noch dadurch, dass sie überall herumkramte. Oder sie bildete sich ein, an einem Kleid etwas ändern zu müssen, weshalb sie es zunächst anprobieren musste, und dann verließ Mirijam lieber die enge Kajüte und ging an Deck. Lucia hingegen blieb gern für sich. » Lass mich«, sagte sie meistens, wenn Mirijam die Schwester an die frische Luft locken wollte. » Mir gefällt der schwankende Horizont nicht. Man sieht nie, wo die Wellen aufhören, das ist nichts für mich. Außerdem muss ich diese Rüsche hier festnähen.« Wenn Lucia aber gerade nicht kramte oder stichelte, lag sie auf ihrem Lager und träumte vor sich hin.
Zwischen all den Umhängen, Tüchern und Gewändern aus Lucias Gepäck war Mirijams Reisekiste inzwischen kaum noch zu finden. Dennoch vergewisserte sie sich täglich, dass das geheimnisvolle Bündel ihrer Mutter unversehrt am Boden der Truhe lag. Kurz strich sie über das weiche Leder und die glänzende Kordel und dachte an die Mutter, an die sie sich nicht erinnern konnte. Auch jetzt hatte sie die Truhe gerade wieder geschlossen und an das Fußende ihrer Bettstatt geschoben. Bis zum Mittagessen gab es nichts mehr für sie zu tun.
Mirijam verließ die Kajüte und erkletterte das Achterkastell.
» Guten Morgen, Mejuffrouw, immer feste auf den Beinen, was? Habt wohl mehr Seewasser als Blut in Euren Adern!«
» Auch Euch einen guten Morgen, Mijnheer Vancleef. Wer weiß, vielleicht waren unter meinen Vorfahren einige Piraten?«
» Na, das wollen wir mal nicht hoffen! Gesindel, sage ich, heidnisches Lumpenpack, das sich in den Gewässern des Mittelmeeres herumtreibt. Besonders schlimm sind die Barbaresken. Das sind die Seeräuber der nordafrikanischen Berbervölker, kriegerische Leute, die sogar bis hoch in den Norden fahren, um in der isländischen See ihr Unwesen zu treiben. Und weder Kaiser noch Papst legen diesen gottverdammten Piraten das Handwerk.« Vancleef spuckte in hohem Bogen über die Reling.
Mirijam mochte den Zahlmeister, der immer ein gutes Wort für sie hatte. Den Kapitän hingegen sah sie selten. Der ließ sich nur einmal am Tag an Deck blicken. Wenn er auf dem Achterdeck erschien, prüfte er Segelstellung, Wind und Wogen und ließ sich vom Steuermann über die Ergebnisse der aktuellen Navigation informieren, bevor er wieder in seiner Kajüte verschwand. Während der gesamten Reise hatte er noch kein Wort mit Mirijam oder Lucia gewechselt, nur hin und wieder gab es ein knappes Kopfnicken in ihre Richtung. Zufällig hatte aber Mirijam vor einigen Tagen beobachtet, wie zwei kleine Branntweinfässer in seine Kajüte getragen wurden. Ob der Kapitän mehr als nur die täglichen zwei Gläschen zur Stärkung des Herzens trank?
Als sie die widrigen Strömungen vor Gibraltar an der spanischen Südküste endlich hinter sich gelassen hatten und in ruhigere Gewässer kamen, klarte das Wetter auf. Gelegentlich tauchte am Horizont Land auf, Berge, die zu kleineren Inseln gehörten, wie der argousin erklärte. Die Sonne wärmte das Achterdeck, und unter einem Sonnensegel richtete Vancleef ein Ruhelager aus bunten Kissen für die beiden jungen Mädchen her. Hier lag Mirijam oft und blickte in das endlose Blau, das sich über dem Meer spannte. Morgens färbte sich der Horizont zuerst unmerklich, dann immer kräftiger, bis die goldene Sonne erschien und alles, die Wogen wie die zarten Wolken am Himmel, erstrahlte und glänzte. Wenn die Nacht heraufzog, wiederholte sich dieses Geschehen in umgekehrter Folge. Das gefiel ihr ausnehmend
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