Purpur ist die Freiheit 01 - Das Leuchten der Purpurinseln
die Piraten beim Entern leichter auf die Decks der bedrängten Schiffe gelangen konnten.
Fassungslos und unfähig, sich auch nur einen Schritt zu bewegen, starrte Mirijam hinüber. Langsam nur begriff sie, was dort draußen wirklich geschah, was sich vor ihren Augen abspielte: Seeräuber überfielen die Schiffe des Vaters!
Immer wieder waren in den letzten Jahren Antwerpener Kauffahrer den Piraten zum Opfer gefallen. » Was für Verluste!«, hatte sie den Vater eines Tages sagen hören, als man ein Schiff endgültig verloren geben musste. » Nicht nur an Schiffen, das natürlich auch. Aber was für Verluste vor allem an Menschen, und an Waren!« Und weiter: » Wer als Christ muslimischen Korsaren in die Hände fällt, egal, ob einfacher Soldat, Matrose oder reicher Kaufmann, kommt nur selten wieder frei.« Als er diese Worte sprach, hatten sich seine Augen verdunkelt. Am gleichen Tag hörte sie die Schreiber, für die es kein anderes Thema gab, sagen: » Und wenn doch, so muss ein horrendes Lösegeld gezahlt werden. Das hat schon manche Familie in den Ruin getrieben.«
Die meisten Gefangenen, so erzählte man sich im Hafen, wurden als Arbeitssklaven verkauft, wobei die Männer in der Regel unter Qualen auf den Feldern der Muselmanen schuften mussten. Oder sie wurden an die Ruder von Galeeren gekettet, wo sie wegen der unsäglichen Lebensbedingungen binnen kurzem elendig zugrunde gingen. Gefangene Frauen hingegen, besonders wenn sie jung waren, verschwanden in den Harems reicher Osmanenfürsten. Niemand hatte ihr erklärt, was das genau bedeutete. Es musste allerdings ein schreckliches Schicksal ein. Von den meisten Gefangenen hörte man niemals wieder etwas, hatten die Leute erzählt. Woher aber wussten die Schwätzer im Hafen dann all diese Dinge?
Man redete auch von diesem Piratenhauptmann, einem ehemaligen christlichen Sklaven aus Griechenland. Er wurde Chair-ed-Din genannt, was angeblich Rotbart bedeutete, und stand im Dienst des osmanischen Sultans. Von ihm hieß es, sein Geschäft sei das Eintreiben von Lösegeld, angeblich beschäftigte er sogar eigens einen Gesandten für die Verhandlungen und zum Überbringen seiner Forderungen.
Lucia presste sich an den Großmast und schluchzte: » Warum gibt der Kapitän nicht endlich das Kommando davonzusegeln? Warum will er kämpfen? Wir müssen doch fliehen! Schnell!« Ihre Angst war mit Händen zu greifen.
Auch die zweite Kanone wurde in Stellung gebracht und geladen, und kurz darauf hob ihr Kanonier seinen Arm.
» Segel nieder! Ruder auf!«
Augenblicklich fielen die Segel der Palomina, und die Ruderer hielten still, um dem Schiff mehr Ruhe zu geben und so das Zielen zu erleichtern. Alle hielten den Atem an. Ein scharfer Knall ertönte, eine Wolke von Pulverdampf erhob sich im Vorschiff, dann hörte man ein lang gezogenes Pfeifen, als die Kugel auf das feindliche Schiff zuflog. Endlich! Mirijam hielt die Luft an.
Das Geschoss verfehlte das gegnerische Schiff und schlug weit vor dessen Bug ins Wasser. Auch die zweite Kanonenkugel schoss am Ziel vorbei, wie sie an der hohen Gischtfontäne hinter dem Piratenschiff erkennen konnte. Aus dem Deck der Ruderer erklang Triumphgeheul, augenblicklich gefolgt vom Klatschen einer Peitsche auf nackter Haut.
» Na, wenn ihr euch mal nicht täuscht!« Knurrend kommentierte der Zahlmeister den Jubel der Galeerenruderer. Er stand zwischen Lucia und Mirijam, hatte die Arme um die Mädchen gelegt und sie schützend an sich gezogen.
» Da unten, die Ruderer, das sind muslimische Gefangene«, erklärte er ihnen. Seine ruhige Stimme war Balsam für Mirijam. » Die hoffen jetzt natürlich, von ihren Glaubensgenossen befreit zu werden. Aber das ist längst nicht ausgemacht! Oh nein, noch lange nicht, Ihr werdet sehen, Mejuffrouwes, Ihr werdet schon sehen. Die Palomina ist schließlich nicht irgendein Kahn. Sie ist schnell und wendig, und wenn wir wollten, wären wir im Handumdrehen auf und davon.«
Doch auch der nächste Schuss ging fehl. » Haltet mehr Backbord, zum Henker!«, schnauzte der Kapitän den Steuermaat an.
» Aber sollten wir nicht doch besser umkehren? So schnell wie möglich?« Lucia barg ihr Gesicht an der Brust des Zahlmeisters und krallte sich in seinem Gewand fest. Auch Mirijam fühlte sich nicht gerade sicher.
» Und die beiden vollbeladenen Schiffe den verdammten Korsaren überlassen? Oh nein! Noch sind wir nicht in echter Gefahr, und die Palomina ist sowieso nicht einzuholen.«
Mit gerunzelten Brauen
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