Purpur ist die Freiheit 01 - Das Leuchten der Purpurinseln
sie planen und vorbereiten können? Für eine angemessene Mitgift war jedenfalls gesorgt, darüber hinaus musste er ihr Schicksal in Gottes Hände legen und auf seinen Vetter im fernen Spanien vertrauen. Wenigstens würde sie in das Land ihrer Mutter und Vorväter zurückkehren. Über diesen Gedanken schlief er ermattet ein.
Ein Knarren weckte ihn nach kurzem Schlummer. Sein Notar und Ratgeber öffnete leise die Tür. Andrees schlug die Augen auf und winkte ihn mit müder Hand zu sich.
» Jakob, komm nur herein. Ach, wärest du wie ich ein Vater, so wüsstest du, welch schwere Last auf meinem Herzen liegt! Wie sehr sorge ich mich um die Mädchen, Jakob. Ich muss sie der Hand des gnädigen Gottes anvertrauen, denn ich fühle, meine Stunde naht. Zünde mehr Kerzen an, ich sehe dich nicht gut, und es gibt noch viel zu regeln.«
2
Jakob Cohn entstammte der vornehmen, aber völlig verarmten jüdischen Familie der verstorbenen zweiten Frau van de Meulens, und schon aus diesem Grunde genoss er bei dem Kaufmann höchstes Ansehen. Daneben hatte er es in den letzten beiden Jahren verstanden, sich als Rechtsberater und Notar des Kaufherrn unentbehrlich zu machen.
Jakob Cohn, so hatte er seinerzeit Andrees van de Meulen erzählt, hatte sich vor nunmehr bald dreißig Jahren nicht wie so viele andere seines Volkes der trügerischen Hoffnung hingegeben, die allerchristlichsten kastilischen Könige Ferdinand und Isabella würden Wort halten und ihren Schutz tatsächlich auch auf die konvertierten Juden ausdehnen. Klugerweise, so musste man aus heutiger Sicht wohl sagen. Denn nicht nur die Mauren, sondern vielleicht noch mehr die Juden, besonders aber die konvertierten neofiti hatten unter den grausamen Verfolgungen Schreckliches zu erleiden gehabt.
Cohn jedenfalls hatte sich damals einer Gruppe sephardischer Kaufleute angeschlossen, war mit ihnen den katholischen Truppen und den Scheiterhaufen der Inquisition über die Berge nach Norden entkommen und hatte schließlich Zuflucht in den Handelszentren Englands, Brabants und der Hanse gefunden.
In London, so hatte er weiter berichtet, habe er zunächst ein Studium der Rechte absolviert und später dann für verschiedene namhafte Häuser von Bergen bis Krakau und von London bis Brügge gewirkt. Und zwar erfolgreich und durchaus gewinnbringend, wie es schien.
Vor zwei Jahren stand Cohn plötzlich vor der Tür, um bei seiner Verwandten, Andrees’ Ehefrau Lea, vorzusprechen. Leider weilte sie damals schon nicht mehr unter den Lebenden. Andrees van de Meulen aber war gleich überzeugt, dass er die Kenntnisse im Vertragswesen und die kaufmännische Erfahrung des Mannes gut für sich nutzen konnte. Noch dazu gehörte er praktisch zur Familie, war also sozusagen von Natur aus loyal.
Der Notar räusperte sich mahnend.
» Du hast recht, mein Freund«, unterbrach van de Meulen seine Erinnerungen, » machen wir uns an die Arbeit. Die Zeit drängt.«
Doch seine Gedanken wollten ihm heute nicht recht gehorchen und schweiften erneut in die Vergangenheit. Jakob Cohn beaufsichtigte mittlerweile das Kontor, arbeitete Verträge aus, führte sogar Verhandlungen und fungierte ganz allgemein als Ratgeber. Darüber hinaus unterrichtete er Lucia und Mirijam in Philosophie, Spanisch und Latein, was der älteren Kaufmannstochter allerdings nicht eben leichtfiel. Dabei war Lucia nicht dumm, sie hatte nur keine Lust, sich anzustrengen.
Der Vater seufzte. Besuche, Möbel, Schmuck und schöne Stoffe sowie die neuesten Gerüchte, die in der Stadt die Runde machten, all das fesselte die ältere Tochter. Außerdem liebte sie jede Art von Plauderei und fröhliche Spiele mit ihren Gefährtinnen. Seit Neuestem interessierte sie sich sogar für deren ältere Brüder, und von Gesprächen über das merkwürdige Verhalten junger Männer konnte sie nie genug bekommen. Nun, sie war noch jung und sorglos, manchmal fast ein wenig oberflächlich, im Grunde jedoch ein liebes Kind. Aber es wurde Zeit, sie zu verheiraten.
Mirijam hingegen sog im Unterricht alles mit geradezu spielerischer Leichtigkeit auf, wie ihm der Advocat berichtete. Sie fragte nach, wenn sie etwas nicht gleich verstanden hatte, las, was ihr unter die Augen kam, und wollte am liebsten alles auf einmal wissen. Besonders Zahlen faszinierten sie. Allein durch Beobachtung im Kontor hatte sie gelernt, mit ihnen zu spielen und zu jonglieren wie ein Jahrmarktsgaukler, und manches Mal war sie entzückt, wenn sich ihre langen Zahlenkolonnen zu sinnvollen
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