Purpur ist die Freiheit 02 - Die Perlen der Wueste
lesbar: » … suche sie und übergib das Kind an Salvatore Loredan, gegen Quittung, versteht sich!«
Ziemlich wirr, überlegte der venezianische Ratsherr. Der Neffe war offenbar seinem Rat gefolgt und hatte sich nach Genua abgesetzt, um so der Schmach der förmlichen Verbannung aus Venedig zuvorzukommen. Da die beiden stolzen Republiken in nicht enden wollenden Streitigkeiten miteinander lagen, musste er keine Auslieferung befürchten, wurde vielleicht sogar mit offenen Armen empfangen. Immerhin verfügte er über Informationen … Aber warum machte sich Marino die Mühe, ihm diese Nachricht zukommen zu lassen? Dankbarkeit, ein Hinweis, dass er sehr wohl über Familiensinn verfügte? Wie auch immer, schon seit Monaten hielten sich die Gerüchte über einen Feldzug des Kaisers gegen die elende Piratenbrut, die den Handel im Mittelmeer empfindlich störte. Offenbar trugen die Beschwerden der Mailänder und Genueser Kaufleute beim Kaiser also endlich Früchte. Und Marino erhielt das Kommando über eines der Kriegsschiffe? Das klang, als käme nun doch eine Allianz zwischen Frankreich und dem Heiligen Römischen Reich zustande, die sich bislang als Erzrivalen bekriegten. Im Kampf gegen die Korsaren vereint , d as wäre in der Tat eine wichtige Nachricht. Warum, musste man sich dann aber fragen, warum hatten Venedigs Spitzel, die doch angeblich sogar den lautlosen Flug von Fledermäusen ausmachen konnten, bisher nichts dergleichen berichtet? Nun, er würde gleich heute wie zufällig das eine oder andere Wort unter seinen Kollegen fallen lassen, dann sah man sicher bald klarer.
Aber was, beim heiligen Santo Marco, sollte dieser seltsame Nachtrag bedeuten? Eine Frau aus Santa Cruz, ein offenbar ungeborenes Kind – und Loredan? Ein Kind würde der ja wohl kaum aufziehen wollen. Wenn aber doch, so musste man sich fragen: Zu welchem Zweck? Und Marino, konnte Loredan etwas gegen ihn in der Hand haben, das ihm sogar in Genua schaden könnte?
33
Am nächsten Morgen, als sich der Rabbi in der Synagoge befand, öffnete Sarah ihren Lederbeutel für Rebecca und die beiden Mädchen. Sie schwiegen andächtig, als sie ein Säckchen nach dem anderen hervorkramte, die Verschnürungen löste und nach und nach mehr bunte Kostbarkeiten zum Vorschein kamen, als man je zuvor in diesem Haus gesehen hatte.
» Seht her, so arrangiere ich ein Blütenmuster. Dieses hier habe ich schon mehrfach gestickt.« Sarah griff in die Beutel, nahm einige Perlen heraus und legte eine vollerblühte zartrosa Rose mit taugrünen Blättern auf dem Tisch aus. » Es kommt natürlich wesentlich auf den Stoff an, den ich besticken will, für Seide verwende ich zum Beispiel viel kleinere Perlen. Und bevor ich sie aufnähe, muss ich erst einmal eine exakte Zeichnung anfertigen, damit es zum Schluss genau so wird, wie ich es mir vorstelle. Dieses hier gefällt mir ebenfalls gut.« Neben der Rose legte sie aus weißen Kaurimuscheln, braunen Kernen, blauschillernden Stäbchen sowie grünen und roten Kugelperlen das Bild eines Miniaturgartens mit einem winzigen, geschwungenen Bachlauf darin.
Während Esther vor Entzücken in die Hände klatschte und Hannah am liebsten den gesamten Inhalt des Beutels untersucht hätte, strich Rebecca vorsichtig, als seien sie tatsächlich so zerbrechlich, wie sie wirkten, mit der Fingerspitze über die Perlen. Wenn sie einen Beweis für Sarahs vermögende Herkunft gebraucht hätte, so lag er hier vor ihr auf dem Tisch. Nur Mädchen aus wohlhabendem Hause verfügten über die nötige Muße, sich mit derart filigranen Spielereien abzugeben, anstatt hart für ihren Lebensunterhalt zu arbeiten. Und um eine Perfektion wie diese zu erreichen, benötigte man viel Übung.
» Mir scheint, Ihr habt hier den Anfang eines goldenen Fadens in der Hand, wenn ich so sagen darf, Sarah«, überlegte sie laut. » Mit einem solchen Handwerk, noch dazu in dieser Vollendung, werdet Ihr in Venedig sicher Erfolg haben. Ich denke, es wird nicht lange dauern, dann reißen sich die jungen Damen um Eure Stickereien. Das beruhigt mich und macht mich froh für Euch.«
Bevor Sarah etwas darauf erwidern konnte, wurden sie von heftigem Klopfen an der Haustür unterbrochen. Hannah lief hinunter, um zu öffnen, es folgten ein paar schnelle Schritte auf der Treppe, und plötzlich stand Yasmîna in der Tür.
» Al hamdullillah ! Die Jungen sagten mir schon gestern Abend, wo ich dich finden kann, doch das Ghetto wird über Nacht versperrt. Aber jetzt lasse ich dich
Weitere Kostenlose Bücher