Purpur ist die Freiheit 02 - Die Perlen der Wueste
ernste Blick des Rabbi in ihrem Gesicht. Er schien etwas Bestimmtes von ihr zu erwarten.
Sarahs Wangen färbten sich. Verlangte er eine Erklärung, wie es kam, dass sie Schutz in seinem Haus suchen musste? Das konnte sie nicht sagen, jedenfalls nicht, ohne unaufrichtig zu sein oder sich selbst zu schaden. Immer deutlicher wurde ihr bewusst, wie ihre Beziehung zu Marino auf andere Menschen wirken musste, speziell hier in Venedig, und so wagte sie nicht, ihre Augen zu heben.
Schließlich aber nahm Rebecca sie bei der Hand und führte sie zu einem Stuhl. Der Rabbi sprach einen Segen über den Wein, und alle tranken einen Schluck. Sarah spürte, wie sich ein warmes Gefühl in ihrem Körper ausbreitete. Rebecca segnete das Brot und zerteilte es, bevor sie alle zum Zugreifen ermunterte.
» Meine Frau hat mir von Eurer gemeinsamen Gondelfahrt berichtet, Sarah de Álvarez.« Der Rabbi dachte offenkundig nicht daran lockerzulassen. Seine kühle Stimme und der strenge Blick sollten ihr zu verstehen geben: Ich kenne deine Verfehlungen, und ich verurteile sie.
Sarah fühlte sich hilflos angesichts seiner Ablehnung, die in so starkem Kontrast zur Hilfsbereitschaft seiner Frau stand.
» Lass sie ihn Ruhe, Samuel!« Rebecca funkelte ihren Mann an, dann legte sie Sarah die Hand auf den Arm und schob den Teller näher zu ihr. » Greift zu, meine Liebe. Versucht diesen Käse, er wird Euch sicher munden.«
» Ich werde Euch nicht lange zur Last fallen, Rabbi«, versprach Sarah mit leiser Stimme. » Man ist bereits dabei, eine passende Bleibe für mich zu suchen.« Sie verschwieg ihm, dass es Straßenkinder waren, die Ausschau nach einer billigen Kammer für sie hielten. Unter dem Tisch knetete sie ihre Finger. Ihr Magen flatterte, oder war es das Kind, das sich in ihr bewegte? Schließlich sprach sie aus, was ihr erst vor wenigen Augenblicken, beim Erwachen, durch den Kopf gegangen war.
» Ich bin fremd in der Stadt, und meine ursprünglichen Pläne haben sich zerschlagen, doch in Kürze werde ich hoffentlich in der Lage sein, für mich zu sorgen. Zum Beispiel hiermit.« Sie wandte sich Rebecca zu und deutete auf den Halsausschnitt ihres Kleides. » Mit Perlenstickerei. Glaubt Ihr nicht auch, dass solche Arbeiten den Damen Venedigs gefallen könnten?«
» Aber ja, natürlich! Venezianerinnen sind stets auf der Suche nach Dingen, die ihre Schönheit unterstreichen. Auch in diesem Winter werden ihre Festkleider wieder in den kühnsten Farben von Scharlachrot über Orange bis zu Zitronengelb leuchten, und eine so feine Stickerei, wie sie Euer Kleid ziert, wird bestimmt Anklang finden. Das habt Ihr wirklich selbst angefertigt? Bewundernswert, es sieht zauberhaft aus.«
Rebecca ignorierte den Blick ihres Mannes, dem ein derartig oberflächliches Thema an seinem Tisch sichtlich missfiel, im Gegensatz zu seinen Töchtern. » Ich glaube, ich weiß sogar schon«, fuhr sie fort, » wen ich gleich morgen darauf aufmerksam machen werde: Monna Lucia Gabrieli. Ihre Älteste erwartet das erste Kind, aber sie hat noch drei Töchter zu verheiraten.« Verschwörerisch zwinkerte sie ihrem Gast zu. » Sie wird also in den nächsten Monaten vermutlich mehrere neue Roben bestellen.«
Der Rabbi wollte erneut seinem Verdruss Ausdruck verleihen, seine Frau ließ ihn jedoch nicht zu Wort kommen.
» Ihr müsst mir alles über die Kunst der Perlenstickerei erzählen.« Sie wusste, nichts konnte besser zur Entspannung der jungen Frau beitragen, als deren Gedanken auf neue Ideen und Zukunftspläne zu lenken.
32
» Meine Zukunft ist vorerst gesichert: Admiral Doria wird mir bald ein Kommando geben.« Andrea Capello drehte das angeschmuddelte Papier um, das auf verschlungenen Wegen zu ihm gefunden hatte. Die Schrift war ziemlich unleserlich, außerdem trug es keinen Absender. Aber er wusste auch so, dass die Nachricht von Marino stammte. Andrea Capello trat näher ans Fenster und ließ das Licht auf den Bogen fallen. Hier stand etwas, das aussah wie » … Schlag gegen die afrikanischen Piraten, bei dem ich …«. Die folgenden beiden Zeilen waren verschmiert, sie schienen Feuchtigkeit abbekommen zu haben, und man konnte sie beim besten Willen nicht entziffern. Ganz unten aber erkannte man schwach noch etwas. Der Bucklige drehte und neigte das Schreiben, bis er etwas lesen konnte. Hieß es nicht » … informierte mich, dass sie schwanger …« und » … Sarah Álvarez aus Santa Cruz in Venedig …«? Der letzte Satz war dann wieder einigermaßen
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