Purpur ist die Freiheit 02 - Die Perlen der Wueste
kunstvollen Perlenstickereien hatte sich vor allem bei den besseren Schneidereien und deren anspruchsvollen Kundinnen herumgesprochen, so dass sie womöglich schon bald ernsthaft daran denken musste, eine Stickerin einzustellen. Seltsam, aber inzwischen sah es wirklich so aus, als würde ihre einstige Liebhaberei nicht nur ihren Lebensunterhalt sichern, sondern sich sogar zu einem guten Geschäft entwickeln. Wer hätte das vorhersehen können?
Während Sarah die restlichen Perlen in ihre Schachteln zurücklegte, versuchte sie sich vorzustellen, wie es sich anfühlen mochte, hier in Venedig als angesehene Person in wirtschaftlicher und persönlicher Unabhängigkeit zu leben. Sie sah sich selbst in einem dieser schönen Gewänder an Bord einer eleganten Gondel auf einen Palazzo zusteuernd … Die Dame mit den Reiherfedern an der Samtkappe und dem warmen Pelzcape kam ihr wieder in den Sinn. Hin und wieder dachte sie an sie, an dieses Sinnbild von Geschmack und Reichtum. War es das, was sie erstrebte? Und wäre ihr, der Mutter eines illegitimen Kindes, ein solches Ziel überhaupt erreichbar?
Sarahs Blick ging über die Schachteln im Wandregal, die sich mit einer ansehnlichen Auswahl von hübschen Muranoperlen gefüllt hatten. Hübsch, das traf es. Sie waren perfekt gerundet und mittig durchbohrt, genau, wie man es sich wünschte, und doch fehlte ihnen etwas. Sie hatten keine Seele. Die Glasmacher auf Murano fertigten sie zu Hunderten, gar Tausenden, und alle sahen sie gleich aus. Sie hielten dem Vergleich mit ihren Schätzen zuhause nicht stand, noch viel weniger den mit den uralten afrikanischen Akoris, die tief verborgen in ihrem Lederbeutel ruhten. Wie schön wäre es, auf ihre Vorräte zuhause zugreifen zu können. Sarah biss sich auf die Lippen.
Nicht träumen, befahl sie sich, erst musste aufgeräumt werden, und zwar dringend. Geschäftig eilte sie im Zimmer umher, verschloss die Schachteln und stellte sie an ihre Plätze, wickelte die Nähfäden auf Rollen und wischte über den Arbeitstisch. Dann nahm sie das grünseidene Kleid von der Wand und verpackte es sorgfältig. Es war gut, etwas zu tun zu haben, dadurch konnte sie ihre Gedanken im Zaum halten.
*
Emmanuele hatte zu tun, deshalb hielt Filippo für ihn die Stellung. Er strich die Haare aus dem Gesicht, um den seltsamen Mann besser beobachten zu können. Seit vorgestern tauchte er immer wieder am Ponte di Rialto auf, betrachtete die Händler und ihre Kundschaft, schaute müßig übers Wasser und tat nichts Bestimmtes. Fürs Umherschlendern war es jedoch eindeutig zu kalt.
Filippo schnitzte weiter an seiner Holzplatte, augenscheinlich schwer beschäftigt, in Wahrheit aber passte er unauffällig auf, was der Mann tat. Gestern schon hatte er festgestellt, dass er dünne, nach außen gekrümmte Beine und einen Buckel hatte, den er mit üppigen Falten und einem weiten Kragen zu kaschieren suchte. Jetzt stampfte er mit den Füßen, um sie warm zu halten, und schob die Hände, die in feinen, aber viel zu dünnen Handschuhen steckten, in seine Ärmel. Ob er ein Neuer von den signori di notte, der Geheimpolizei, war? Die meisten von ihnen kannte er, dieser hier jedoch war ihm Fremd. Vielleicht war er aber auch auf der Suche nach einer jungen Hure oder einem willigen Knaben für seine verbotenen Gelüste? Jetzt kam er näher.
» Schönes Bild.« Filippo sah auf. Der Bucklige stand vor ihm und deutete auf seine Schnitzerei. » Was soll das werden?«
Filippo zuckte die Schultern. » Nichts weiter.« Der Mann war ja wohl blind, jeder, der Augen hatte, konnte doch den Markuslöwen erkennen, der gerade zum Sprung ansetzte.
» Aha. Jedenfalls gefällt es mir. Verkaufst du es?«
Eigentlich hatte er es nicht nötig, eine unvollendete Arbeit zu verkaufen, nicht, seitdem er als Bote für Kapitän Pacelli und die anderen Kapitäne fungierte. Da er zuverlässig und schnell war, konnte er sich seither jeden Tag mindestens einmal richtig sattessen. Und er musste auch nicht mehr im Freien unter einer Treppe schlafen. Zusammen mit Emmanuele war er in den ersten Stock eines halbfertigen Hauses gezogen, das sie jetzt im Winter, solange nicht weitergebaut werden konnte, bewachen sollten. Sogar ein paar warme Decken und Matratzen gab es dort, und einen Ofen hatten sie auch, um den sich jeden Abend Emmanueles Gefolgschaft zusammenfand. Emmanuele passte auf sie auf, und er erzog sie. Eine seiner Maximen lautete, man solle die Katze am Schwanz packen und jede Gelegenheit nutzen,
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