Purpur ist die Freiheit 02 - Die Perlen der Wueste
die Finger seiner Hand aus, und er murmelte den uralten Abwehrzauber: » Al khamsa alaya, die Fünf sei über mir.« Nein, kein Löwe, dachte er erleichtert, als sein Kamel keine Anzeichen von Unruhe zeigte. Vermutlich hatte er also lediglich einen Hasen oder ein Rebhuhn aufgeschreckt. Dennoch blieb er wachsam.
Der Souq in Taroudant hatte vor Gerüchten gebrodelt, feindliche osmanische Söldner seien auf dem Vormarsch. Ihm kam das unwahrscheinlich vor. Féz war doch bereits in der Hand von Sultan Ahmad, dem Bruder ihres Sultans, und Miknas war erst kürzlich an den sa’adischen Sultan zurückgegeben worden, was also sollten die Osmanen anstreben? Sie würden ja wohl kaum über den Süden herfallen.
Langsam ritt er einen Bogen um die betreffende Stelle, bis er die Sonne im Rücken hatte und jeder Ast, jeder Graben und jeder Stein vor ihm überdeutlich und scharf umrissen zu erkennen war.
Blau? Eindeutig, unter ein paar Sträuchern neben einem halb verfallenen Wegweiser, den jemand aus herumliegenden Steinen gebaut hatte, lag etwas Blaues. Also kein Tier, er jedenfalls kannte kein Tier mit blauem Fell. Es musste ein Mensch sein. Wenn es kein Kleiderfetzen war, den der Wind herangeweht hatte, so lag dort zweifellos ein Mensch, und zwar reglos und dicht an den Boden gepresst. Fehlte ihm etwas, brauchte er vielleicht Hilfe? War er gestürzt oder überfallen worden, oder führte er etwas Böses im Schilde? Keine Spur eines Pferdes oder Esels, aber auch keine Aasfresser am Himmel. Wo befand sich das Reittier dieses Menschen?
Saïd überzeugte sich, dass sein Dolch griffbereit im Gürtel steckte. Dann wendete er. Mit den Fersen gab er dem Kamel kräftige Stöße gegen den Hals. » Yallah « , zischte er, » vorwärts.«
Sein markantes Profil zeichnete sich scharf vor dem Abendhimmel ab, als er das mehari antrieb und mit wehendem Gewand auf das Gebüsch zugaloppierte.
10
Wenige Schritte vor dem reglosen Körper, der ausgestreckt unter den Büschen lag, zügelte Saïd sein Kamel und glitt aus dem Sattel. Vorsichtig trat er näher, die Hand am Dolch.
Der Mensch lag auf dem Bauch, bedeckt mit einem blauen Tuch, wie man schlafende kleine Kinder vor Fliegen schützte, und rührte sich nicht. Schlief er? War er tot? Ein schneller Blick bestätigte: Kein Reittier weit und breit, der Mann musste zu Fuß hierhergekommen sein. Oder war das eine Falle?
Wachsam wandte Saïd den Blick nicht von dem Bewegungslosen ab. Plötzlich kam aus dem Nichts ein Stein geflogen. Er verfehlte ihn nur um Haaresbreite. Saïd sprang beiseite und duckte sich. Stein um Stein kam nun geflogen, doch zum Glück traf keiner. Sie hagelten um ihn herum auf den Boden. Am Hang rumorte es, Gesteinsbrocken und loses Geröll kullerten den Hügel herab. Die Osmanen! Oder doch ein Steinschlag? Nun ertönte ein gellender Schrei, dann ein Ruf, der wie ein Name klang. Vorsichtig hob Saïd den Kopf.
Eine Frau! Mit wehenden Gewändern stürmte sie den Berg herunter. Auf dem steilen Abhang kam sie zu Fall, rappelte sich jedoch wieder auf. Sie strauchelte nochmals, kam aber erneut hoch und sprang direkt auf ihn zu. In der einen Hand hielt sie einen Knüppel, mit der anderen sammelte sie unterm Laufen Steine vom Boden und warf damit nach ihm.
Jetzt endlich bewegte sich auch der Mensch im Gebüsch. Er zog die Beine an, drehte sich und setzte sich schließlich auf. Das Tuch, mit dem er sich bedeckt hatte, rutschte herunter. Noch eine Frau! Verschlafene Augen blickten suchend umher, ohne wirklich etwas zu erfassen.
Verblüfft schaute Saïd von der Frau am Berg zu der, die eben noch geschlafen hatte. Er konnte es kaum glauben: Zwei Frauen, noch dazu allein, und weitab jeder Ansiedlung? Bei Allah, was taten sie hier und was war mit ihnen geschehen?
» Nicht erschrecken«, rief er schließlich und trat betont langsam hervor. » Ich will dir nichts antun.« Er öffnete die Arme und zeigte seine leeren Hände vor. » Brauchst du Hilfe?« In diesem Augenblick traf ihn ein kleiner Stein am Kopf.
Er wirbelte herum. Die Frau, die den Hügel herabgelaufen war, stand hinter einem Dornbusch, den nächsten Stein wurfbereit in der erhobenen Hand. Sie war inzwischen so nahe herangekommen, dass er ihre Jugend, aber auch die Angst auf ihrem verzerrten Gesicht erkennen konnte.
» Mein Name ist Saïd Aït el-Amin, ich habe nichts Böses im Sinn, Allah ist mein Zeuge«, rief er mit lauter Stimme. » Meine Karawane lagert ein Stück weiter unten am Bach, bei den alten Mauern. Ich
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