Purpur ist die Freiheit 02 - Die Perlen der Wueste
Haus.«
» Verlass dich ganz auf mich«, versprach Hussein. » Wie ein Vater werde ich für alles sorgen.«
Saïd schnaubte. Wie ein Vater! Und was hatte Hussein tatsächlich gemacht? Unwillkürlich ballten sich seine Hände zu Fäusten, und sein Reittier, das den festen Griff am Zügel spürte, beschleunigte den Schritt.
Wenn er seine beiden älteren Brüder – genau genommen waren sie ja Halbbrüder, die einen gemeinsamen Vater, aber verschiedene Mütter hatten – miteinander verglich, wurde ihm klar, dass es kaum schärfere Gegensätze geben konnte als die zwischen Brahim und Hussein. Wo Brahim verständnisvoll über kleinere Schwächen hinwegsah oder höchstens eine Ermahnung aussprach, bestrafte Hussein, verlangte zusätzliche Fronarbeit oder verhängte eine andere Buße. Und was war das Ergebnis? Die Menschen zankten, und aus den Dörfern entlang des Oued Ziz schwand der Friede. Inzwischen gärte es an zahlreichen Feuerstellen der großen Oase, und besonders die Monate nach Beginn des Winterregens waren nicht nur in seiner Familie und in der Kasbah, sondern im gesamten Tafilalt von Unruhe und Feindseligkeiten geprägt.
Wenigstens hatte er Husseins Versuche, die Planung der nächsten Karawane und die Abwicklung der verschiedenen Handelsunternehmungen der Familie an sich zu reißen, abwehren können. Obwohl Brahims Anweisungen für diesen Bereich eindeutig gewesen waren, hatte Hussein behauptet, seine Rechte und Pflichten als amghar schlössen alles ein, auch die Karawane und den Handel. Doch Saïd hatte sich weder auf Drohungen noch Versprechungen des Bruders eingelassen und seine Stellung behauptet. Allah sei Dank, seufzte er, jetzt dauerte es nur noch wenige Wochen, dann hatte diese Zeit ein Ende, und das Leben im Tafilalt würde wieder nach der gewohnten Ordnung ablaufen. Die gereizte Stimmung war inzwischen so unerträglich geworden, dass er schließlich fast übereilt Sijilmassa verlassen hatte, um nach Taroudant zu reiten, dort die Schwester abzuholen und sie nach Miknas zu begleiten.
In Taroudant, der Karawanenstadt am Fuße des Hohen Atlas, trafen Menschen aus aller Welt zusammen. Eine Weile fühlte sich Saïd stets recht wohl zwischen den hohen Mauern, den Souqs und geräumigen Palästen und Gärten voller Vogelgezwitscher. Auch Sultan Muhammad residierte dort. Er war ein beliebter Herrscher, der nichts von Prunk hielt, sich vielmehr um eine gerechte Verwaltung bemühte und im Übrigen mit dem weiteren Ausbau seiner schlagkräftigen Armee beschäftigt war. In seinen Ställen standen starke Pferde, und in seinen Kasernen ließ er wilde Wüstenkrieger zu Soldaten ausbilden. Während Saïd also darauf wartete, dass Azîza reisefertig war, hatte er den Stadttrubel genossen. Nun jedoch war er froh, Taroudant wieder verlassen zu haben. Und er würde sogar möglichst lange unterwegs sein, hatte er sich vorgenommen. Auch deshalb hatte er die weitere, für Kamele aber bequemere Route um das hohe Gebirge herum gewählt. Seine Reise würde andauern, bis er sicher sein konnte, dass Brahim wieder zuhause war. Wenn es nach ihm ging, so sollte der Bruder niemals wieder auf Reisen gehen.
Saïd löste seinen Schleier und legte ihn um den Nacken. Der Abendwind und die Stille, vor allem aber die Aussicht auf Brahims baldige Heimkehr lockerten die Anspannung ein wenig, unter der er seit Wochen litt.
Seit seinen frühen Kindertagen, besonders aber nach dem Tod des Vaters, hatte ihn der große Bruder unter seine Fittiche genommen. Er hatte für sein Studium in Féz, aber auch für seine Ausbildung zum khrebir gesorgt. Saïds Erinnerungen an seinen Vater, den großen Freiheitskämpfer, der gemeinsam mit den Kriegern der Banu Sa’ad die Portugiesen aus dem Land gejagt hatte, waren inzwischen kaum mehr als vom Wind verwehte, unklare Spuren. Sheïk Hassan Aït el-Amin, der berühmte Löwe der Wüste: ein Vater, ein Lehrmeister und ein Vorbild fürs Leben? Leider nicht für ihn. Für alle Masiren des Südens, für die Sa’adier und insbesondere natürlich für sein Volk, die Sanhadja, mochte er ein legendärer Held sein, für ihn als seinen jüngsten Sohn aber …
Plötzlich schreckte Saïd auf. Aus den Augenwinkeln hatte er eine Bewegung zwischen den dornigen Sträuchern am Hang wahrgenommen. Ein Tier, womöglich gar ein Berglöwe, der zur Jagd aus den Höhen herabgestiegen war? Manchmal durchstreiften Löwenmännchen ohne eigenes Rudel auf der Suche nach Beute auch die tiefen Täler. Unwillkürlich streckten sich
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