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Purpur ist die Freiheit 02 - Die Perlen der Wueste

Purpur ist die Freiheit 02 - Die Perlen der Wueste

Titel: Purpur ist die Freiheit 02 - Die Perlen der Wueste Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Doris Cramer
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Unzucht geworden und einige der angesehensten, venezianischen Kavaliere seien in den Fall verstrickt. Man sagte, der Knabe sei als Wetteinsatz durch die Betten mehrerer Lüstlinge gereicht worden, bis er verblutete. Rebecca hatte hinter der halboffenen Tür gestanden, unfähig, sich zu rühren, und gehört, wie David, der Arzt, dem Rabbi das Herz ausschüttete: Mit eigenen Augen habe er beobachtet, wie drei maskierte Männer den leblosen Körper an der dogana ins Wasser warfen, wohl in der Hoffnung, die nächste Ebbe würde ihn zusammen mit anderen Abfällen aus der Lagune hinausbefördern. Obwohl sie Masken trugen, habe er zwei von ihnen erkannt. Allzu oft war er schon zu den Kranken ihrer Familien gerufen worden, er wusste, um wen es sich handelte. Später habe er den toten Knaben aus dem Wasser gezogen, medizinisch untersucht und, als er seinen furchtbaren Verdacht bestätigt fand, den Fall zur Anzeige gebracht, wie es seine Pflicht war. Doch obwohl der Name Loredan gefallen war und auch der seines Freundes Capello, hatte es bisher keine Nachforschungen geschweige denn eine Anklage gegeben. Was für eine Ungeheuerlichkeit! Und dennoch hatte sie vorhin nicht den Mut aufgebracht, die junge Frau aus der Gondel, die in Venedig offenkundig fremd war, vor ebendiesem Capello offen zu warnen!
    Noch während sie das Essen für ihre Familie zubereitete, hatte sie versucht, ihre innere Stimme zu überhören, und sich eingeredet, diese Sarah ginge sie nichts an. War sie etwa schon ebenso feige wie die anderen jüdischen Bewohner Venedigs, die ihre Köpfe einzogen und sich wegduckten, anstatt für ihre Rechte einzutreten? Natürlich verstand sie die Bedenken ihres Mannes, der sich als Rabbi der scuola und Vorsteher der Gemeinde tagtäglich inmitten der Auseinandersetzungen zwischen den verschiedenen jüdischen Gemeinschaften und der venezianischen Verwaltung befand. Der Arme saß permanent zwischen sämtlichen Stühlen, auch ohne dass seine Ehefrau einen der nobili der Stadt verdächtigte. Nur ungern machte sie ihm das Leben noch schwerer, aber als es still wurde im Haus, war ihr klar geworden, sie musste dieses junge Mädchen vor Capello warnen. Zumindest musste sie es versuchen, damit sie wieder ruhig schlafen konnte. Deshalb hatte sie das Judenviertel verlassen.
    Sie eilte so rasch sie konnte durch die Nacht, dem Palazzo der Capellos entgegen. Eigentlich durfte sie das Ghetto , dessen Tore mit Einbruch der Dunkelheit geschlossen wurden, nachts nur in Ausnahmefällen verlassen. David, der Arzt, und sie als Hebamme besaßen zwar Sondergenehmigungen, mit denen sie sich auch nach Schließung des jüdischen Quartiers in anderen Stadtteilen aufhalten durften. Dazu mussten sie jedoch die Namen von Patienten angeben, die ihre Anwesenheit erforderten. Heute Nacht hätte sie lügen müssen, und wenn man sie erwischte, konnten die in letzter Zeit ohnehin gewachsenen Ressentiments der Behörden gegen die jüdische Bevölkerung im Ghetto zu verschärften Maßnahmen führen.
    Aus allen Teilen der Welt drängten Juden in die freie Republik Venedig, aus den kalten nördlichen Ländern ebenso wie aus Sizilien, aus Paris, Mailand oder Rom ebenso wie aus den Dörfern der Levante oder aus Spanien und Portugal. Die einen flohen vor den Pogromen der Christen, die anderen hatte die Verfolgung durch Muslime aus ihrer Heimat vertrieben, und wieder andere zog der Reichtum der Stadt an. Alle aber fanden sie sich in diesem kleinen Areal des Ghettos wieder, brachten ihre Gewohnheiten mit, ihre Kleidung, ihre unterschiedlichen Vorstellungen, ihre Alltags- und Gottesdienstriten. Dass Venedig ständig eine Flut neuer Verordnungen erließ, erleichterte das Leben der Ghettobewohner nicht gerade.
    Vor ein paar Stunden noch, in der Gondel, wäre es für sie ein Leichtes gewesen, die junge Frau zu warnen. Ihr anfänglicher Verdacht, sie könne eine dieser üblen Weibspersonen sein, hatte sich bei näherer Überlegung als haltlos erwiesen. Diese Sarah sah einfach furchtbar jung und schutzlos aus mit ihren großen Augen und ihren seltsamen, fremdländischen Kleidern. Dem Namen nach könnte sie eine Jüdin sein. Jedenfalls stammte sie aus gutem Hause, nach dem Stoff ihres Gewandes, vor allem aber nach der Perlenstickerei am Halsausschnitt zu urteilen. Etwas so Hübsches hatte sie noch nie gesehen. Und falls sie tatsächlich aus Féz kam, wo befanden sich ihre Eltern, ihre Familie? Oder war sie womöglich allein in der Stadt? Jemand wie diese Sarah musste einem

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