Purpur ist die Freiheit 02 - Die Perlen der Wueste
» Von Aisha. Sie ist von uns gegangen. Es war ihr Wunsch, dass du ihre afrikanischen Perlen bekommst.« Ihre Mutter wischte sich die Tränen aus den Augen. Erst nach einer Weile konnte sie fortfahren: » Ich glaube, Aisha wusste schon lange, dass ihre Zeit gekommen war, aber sie wollte nicht sterben, ohne uns noch einmal gesehen zu haben. Also wartete sie, bis wir kommen konnten. Dich hatte sie besonders ins Herz geschlossen, aber das weißt du ja selbst.« Sarah erinnerte sich noch genau daran, wie sie damals die Arme um ihre Mutter geschlungen und wie sie beide geweint hatten.
In jedem Frühling, unmittelbar nach ihrer Ankunft in Mogador, war sie durch die Oasengärten zur Hütte der alten Heilerin gerannt und hatte sich jubelnd in ihre Arme gestürzt. Wochen der Freiheit und des Spiels lagen vor ihr, endlos lange Tage, in denen sie mit Naima und Kadima durch Mogador strolchen, mit den Ziegenhirten ins Hinterland ziehen oder vor Aishas Hütte sitzen und mit der alten, schwarzen Frau reden konnte. Ihre Mutter hatte den Kopf voll, Sarah aber fühlte sich in diesen Wochen wie die Königin über ein Wunderreich. Wie leicht konnte es in dieser Zeit geschehen, dass sie eine der Anweisungen ihrer Mutter vergaß oder gar eines ihrer Verbote übertrat. Ihre Mutter Mirijam konnte furchtbar streng sein, ganz anders als ihr Vater, der Sarahs Schwächen nur zu gut verstand und ihr vieles nachsah. Aishas Gebote und Verbote einzuhalten war hingegen vollkommen selbstverständlich. Bereitwillig half sie ihr schon als kleines Kind bei der Arbeit, schleppte Wasser oder Brennholz heran und pflegte gemeinsam mit ihr den kleinen Garten. Sogar die Ziegen durfte sie hüten, und die waren Aishas Augapfel.
» Mitsamt ihren Perlen schickt Aisha dir eine Botschaft, mein Kind«, hatte ihre Mutter hinzugefügt. Sie kauerte dicht neben Sarah und streichelte ihre Hände. So etwas tat sie nur selten. » Sag Sarah, meine Kraft vereinigt sich nun mit der meiner Ahnen. Gemeinsam werden wir über sie wachen.«
Bei dieser Erinnerung seufzte Sarah. Natürlich hatte sie sich inzwischen mit Aishas Tod abgefunden, aber der Gedanke an die afrikanische Heilerin rührte sie bis heute. Es war, als habe die alte schwarze Frau damals mit den Perlen ein Saatkorn in ihr Herz gelegt, das inzwischen aufgegangen und zur Blüte herangereift war. Seit jenem Tag nämlich beschäftigte sie sich mit Mustern und Entwürfen und stellte aus Perlen und anderen Materialien Schmuck, Stickereien und Verzierungen her. Mittlerweile besaß sie Perlen in allen erdenklichen Formen, Farben und Variationen, mandelgroße ebenso wie sandkornkleine, durchsichtige wie undurchsichtige, ein- und mehrfarbige, runde, ovale und solche in Stäbchenform. Dazu Korallen, Schmucksteine, Nüsse, Muscheln, Körner, Samen und Kapseln … Und ständig kam etwas Neues hinzu, nicht zuletzt durch ihren Vater, der aus der ganzen Welt die schönsten Dinge für sie mitbrachte.
Der Wind frischte auf, es wurde kühl. Sarah strich die Haare aus dem Gesicht und hob den Kopf. Angelockt von dem schönen Schiff hatte sich inzwischen eine Traube von Menschen am Hafen versammelt. Soeben legte von der Karavelle ein Ruderboot ab und näherte sich dem Anleger. Kein Wunder, dass es alle Blicke auf sich zog, denn es war ähnlich verschwenderisch mit rotem und goldenem Schnitzwerk geschmückt wie das Mutterschiff.
Aufrecht und stolz, eine Hand in die Hüfte gestützt, stand ein prächtig gekleideter Mann inmitten seiner Ruderer, das Gesicht der Stadt zugewandt. Eine Stimme drang durch den Wind, und es klang, als singe jemand zum Takt der Ruder, die gleichmäßig durch das Wasser zogen.
Kurz entschlossen stopfte Sarah ihre Sachen in den Beutel und kletterte über die Felsen zurück. Neugier mochte ja eine Untugend sein, wie ihre Mutter sagte, aber ein Schauspiel wie dieses konnte sie sich keinesfalls entgehen lassen.
*
Erhobenen Hauptes, die Augen gegen das Licht zusammengekniffen und mit gespreizten Beinen, um in dem schwankenden Boot einen sicheren Stand zu haben, ließ sich Kapitän Marino Capello an Land rudern. Eine schöne Bucht, dachte er, und durch die vorgelagerten Inseln wohl auch ein einigermaßen sicherer Ankerplatz. Die Stadt dagegen schien nichts als ein elendes Nest zu sein. Niedrige, würfelförmige Häuser, drei schmucklose Minarette, eine Stadtmauer mit nur einem Tor, nichts jedenfalls, das den Blick auf sich zog. Aber wenigstens gab es so etwas wie einen Hafen mit befestigtem Ufer. Dort befand
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