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Purpurdämmern (German Edition)

Purpurdämmern (German Edition)

Titel: Purpurdämmern (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Gunschera
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pfiffen es alle Spatzen von den Dächern. Kein Grund also für Geheimniskrämerei. »Da ist dieser blonde Penner im Apfelhain. Umo hat gesagt, er sei mein Vater, und ich wollte ihn überreden, mit uns zu kommen.«
    Santinos Brauen zogen sich zusammen.
    »Er heißt Coinneach. Von den Tuatha … den Licht-Fayeí.«
    »Das ist eine interessante Fügung.«
    Santino schwieg eine Zeit lang. »Ich dachte mir, dass mehr in dir steckt«, sagte er schließlich. »Wo ist dieser Coinneach jetzt?«
    »Er wollte unbedingt in seinem Apfelgarten bleiben.«
    »Dann wird er hier sterben.«
    Es war das, was auch Ken dachte, doch er wünschte, Santino hätte es nicht ausgesprochen. Der Stolz über das Buch schmolz sofort wieder unter dem drückenden Gefühl, vor Coinneach versagt zu haben. Er wich dem Blick des Magiers aus und trat an die Brüstung.
    »Wow!«, entfuhr es ihm.
    Das Gras war schwarz und grau gefleckt von der Masse der Hunde. Es mussten Hunderte sein. Ein Tollhaus wütender Bestien. Sie rotteten sich in Rudeln zusammen und knurrten einander an. Immer wieder brachen Kämpfe zwischen den Tieren aus.
    Aus dem Tohuwabohu erhob sich die Verschlingerin wie ein dunkler, Gift spuckender Vulkan. Nebel umwaberte die Kreatur in kränklich grünen Schwaden. Auf ihrer wilden Flucht vor ein paar Tagen hatte Ken die Bestie nur aus dem Augenwinkel gesehen. Jetzt fiel es ihm schwer, die verdrehte Gestalt zu begreifen. Die Devora glich entfernt einer Hyäne, mit ihrem plumpen Körper, den großen runden Ohren und dem gesträubten Nackenfell. Absurd kleine Beine trugen ihr Gewicht. Wolfsgleich hatte sie den Kopf in den Nacken gelegt und stieß lang gezogene Laute aus, die die Risse am Himmel pulsieren ließen. Jeder ihrer Schreie zog daran und weitete sie, während mehr und mehr von dem gelblichen Dunst herausquoll.
    »Kein schöner Anblick, was?« Santino tastete über seinen Schwertgurt. »Wo ist Marielle?«
    »Sie wollte gleich nachkommen.«
    »Umo wird jeden Moment mit dem Tor fertig sein.« Er ließ die Schnalle los.
    Ein Knistern erfüllte die Luft, wie schon in der Nacht zuvor. Der Gestank nach Elektrizität wallte auf.
    »Das ist nicht gut«, stieß Ken hervor.
    »Nein, ist es nicht.« Santino stieß sich von der Brüstung ab und eilte zu den Treppenstufen. »Ich gehe sie suchen«, brüllte er über die Schulter. »Umo, wie lange?«
    »Zwanzig Minuten.«
    »Geht es nicht schneller?«
    Der Buchstabensammler rutschte vom Ast herab, der Schädel glänzend vor Schweiß. »Es liegt nicht in meiner Macht, die Gezeiten zu verändern.«
    Die Verschlingerin stieß ein tiefes, die Knochen erschütterndes Grollen aus. Erschrocken schlang Ken sich die Arme um den Leib. Sein Körper erzitterte als Resonanz auf das Brüllen. Die aufgeladene Atmosphäre richtete ihm die Haare auf. Am Himmel bewegten sich die Risse und krochen aufeinander zu. Gewittergrollen rollte heran, tausendfach bedrohlicher als bei einem normalen Sturm. Der Nebel verwirbelte. Lichtschein zuckte durch die Schwaden. Ken kniff die Augen zusammen. Und dann sah er es.
    Sie flossen zusammen. Die Schreie der Devora dehnten das Gewebe, sodass es aufklaffte. Immer weiter, bis die winzigen Risse sich zu größeren vereinigten, und die großen zu einer gigantischen Kluft, die vom Horizont her auf sie zuraste.
    In Panik prallte er zurück.
    Der Himmel teilte sich und Helligkeit brandete auf, wie in der Nacht zuvor. Eine Explosion, ein Mahlstrom aus Gebrüll und splitternder Materie. Der riesige Spalt zerfetzte das Gewebe genau über dem Depot, zermalmte Mauern und Steine und verschlang sich am Ende selbst. Eine Druckwelle schleuderte Ken zu Boden. Der Untergrund kippte. Aus dem Augenwinkel sah er, wie die Kisten umstürzten. Das Buch rutschte an ihm vorbei. Im Reflex griff er danach und hielt es fest. Die Festung stöhnte gequält auf. Malträtierter Stahl und vielfach gesprungener Beton kapitulierten vor den Gewalten. Ken stürzte ins Leere, weil unter ihm einfach der Boden wegsackte. Der Fall schien ewig zu währen. Dann krachte er mit entsetzlicher Härte auf den Grund. Er schmeckte Blut und spürte seine Beine nicht, doch nur für einen Herzschlag. Dann schoss ihm ein grässlicher Schmerz vom Knie her den Oberschenkel hinauf und machte ihm deutlich, dass er sehr wohl noch Gefühl in seinen Gliedmaßen hatte.
    Was zur Hölle war passiert? Er hörte Schreie und das hysterische Bellen der Spalthunde und die Devora, die ihre schrecklichen, grollenden Töne in den Himmel hinausschleuderte.

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