Purpurdämmern (German Edition)
Frühlingslicht schiebt. Der Botschafter der Tuatha Avalâín war in Schwarz und Silber gekleidet, makellos wie immer, die Augen schwarze Glut unter dem Sonnenhaar. »Marielle. Die verlorene Prinzessin ist zurück.« Er legte eine Hand auf die Brust und verbeugte sich leicht, eine fast spöttische Geste. »Wir waren in schrecklicher Sorge.«
»Dann können sich jetzt ja alle entspannen.« Rasch musterte sie den Raum. Die Licht-Fayeí ließen sich von den Hofschranzen des Tíraphal bewundern, allen voran ein Mädchen in Marielles Alter, dessen Gelächter wie Perlenschnüre von den seidenbespannten Wänden zurückfederte. Auf einer Chaiselongue probte Ariane Ceallacháin, die schöne Gattin des Ratsherrn Ceallacháin, die Gegenrevolution, indem sie einem Dutzend junger Höflinge den Kopf verdrehte.
Verspätet bemerkte sie den zweiten Mann, der mit Felím in der Balkonnische gestanden hatte, und zuckte zusammen. War der gerade schon dagewesen? Es war ein Licht-Fayeí, doch im Gegensatz zu seinen Stammesgenossen schmucklos gekleidet wie ein Diener, oder ein reisender Händler. Am meisten irritierte sie, dass er sich entlang der Ränder seiner Silhouette aufzulösen schien, ein seltsamer Effekt des Sonnenlichts, das gegen seinen Rücken strahlte.
Marielle senkte den Kopf und überwand den Treppenabsatz mit ein paar raschen Schritten, bevor die selbstgefälligen Gecken sie bemerkten.
»Verweilt doch!«, rief Felím ihr nach. »Wir würden gern Eure Gesellschaft genießen.«
Sie murmelte etwas Unverständliches zur Antwort und nahm immer zwei Stufen auf einmal. Felíms dunkler Blick bereitete ihr jedes Mal eine Gänsehaut, wenn er sie sezierte. Manche munkelten, dass er mehr für die Königinmutter Maebh tat, als einem Botschafter zustand. Im letzten Jahr waren mehrere Offiziere der königlichen Garde verschwunden, die Umgang mit Felím gepflegt hatten. Kein Verdachtsmoment fand sich beim Grafen. Dennoch verstummten die Gerüchte nicht.
Früher hatte sie ihn kaum wahrgenommen, doch seit Beginn der überstürzten Hochzeitsvorbereitungen kreuzte er häufiger ihren Weg. Andauernd lungerte er in Eoghans Schatten herum. So wie jetzt. Was hatte er hier zu suchen? Gab es keine Pflichten, die seine Aufmerksamkeit erforderten?
»Wie lange waren wir weg?«, flüsterte sie.
Aus Níval? Etwas mehr als drei Tage.
Sie unterdrückte ein Kichern, von dem sie selbst nicht wusste, warum es ihr in die Kehle stieg. Drei Tage? Sie hatte in dem Chaos die Zeit aus dem Blick verloren. Kein Wunder, dass Amalia sich echauffierte. Wahrscheinlich hatte Eoghan am Hof schon den Ausnahmezustand ausgerufen. Felíms hingeworfene Bemerkung stellte ihr nachträglich die Nackenhaare auf.
Vor zwei Tagen hätte das Ritual des gegenseitigen Schenkens mit Newan stattfinden sollen. Gut möglich, dass die Staatsaffäre schon am Überkochen war, auch ohne dass sie verkündete, sich anderweitig verlobt zu haben.
Vor den Doppeltüren zum Fairnhain-Salon standen vier königliche Gardisten. Sie langte an einem vorbei nach der Türklinke, doch der Mann schüttelte den Kopf. »Tut mir leid, Hoheit. Der König darf nicht gestört werden.«
»Aber ich muss meinen Vater sprechen.«
»Tut mir leid. Befehl ist Befehl.«
Das konnte nicht sein Ernst sein. Mehr ungläubig als verärgert starrte sie ihn an. »Es geht um die Staatsräson.«
Unbehaglich schüttelte er den Kopf.
»Die Sicherheit und das Überleben der Tuatha Mórí.«
»Euer Hoheit …«
Sie packte die Klinke und drückte sie herunter, bevor er sie aufhalten konnte. »Vater!«, brüllte sie. »Es ist wichtig!«
Auf königlichen Befehl wohnten alle Nicht-Fayeí von Tír na Mórí im Karmesin-Viertel, dem Fremdengetto der Stadt. Zu Beginn hatte Santino dieses Dekret befremdlich gefunden. Mit der Zeit gewöhnte er sich daran.
Die Nebel-Fayeí hatten so viele Jahrhunderte abgeschieden von anderen Sphären gelebt, dass die meisten von ihnen sich unbehaglich in der Gegenwart von Fremdlingen fühlten. Traditionen bestimmten ihr Leben. Eoghan, der Tore in andere Welten errichten ließ und Fremde einlud, mit Tír na Mórí Handel zu treiben, war als König nicht unumstritten. Dass er seine Tochter kommen und gehen ließ, wie es ihr gerade passte, dass er sie gar von einem Fremdländer unterrichten ließ, beäugten viele der Ersten Familien mit Misstrauen. Mit den Jahren sah Santino die Klugheit, die im behutsamen Vorgehen des Königs lag. Eoghan brachte seinem Volk Wohlstand und Erneuerung, doch auf eine
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