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Purpurdämmern (German Edition)

Purpurdämmern (German Edition)

Titel: Purpurdämmern (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Gunschera
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Knochen gefrieren. Er konnte nicht einmal sagen, ob er Vergeltung wollte für ihren Verrat, oder sie einfach nur wiedersehen und die schmerzende Leere füllen, die ihr Verlust in ihm zurückgelassen hatte.
    Wusste sie, dass er in Tír na Mórí lebte?
    Dachte sie manchmal an ihre gemeinsame Zeit zurück? Fühlte sie die gleiche Leere? Und bereute sie, was sie getan hatte? Ihn an die Kjer zu verkaufen, für was? Er hatte nicht einmal herausgefunden, was sie ihr im Gegenzug geboten hatten. Nur dass es ein Baustein gewesen war, im komplizierten Plan ihrer Rache am Imperator. Sie hatte sich zwischen Zukunft und Vergangenheit entschieden, und die Vergangenheit gewählt, ihre Rache.
    Seufzend lehnte er seinen Kopf in die Polster.
    Rache brachte die Leben nicht zurück, die zerschlagene Liebe, die verlorenen Hoffnungen, die beweinten Toten, die Träume vom Glück. Nichts davon kehrte wieder, nur weil der Übeltäter blutend am Boden lag. Als er in die Kjer-Metropole an den Gestaden der Ewigen Ozeane eingedrungen war und in den monströsen Palast, als er den Imperator hatte töten wollen und stattdessen seinen Bruder erwischte, da hatte ihn der Drang nach Vergeltung getrieben.
    Und heute? Wenn ihm erneut die Möglichkeit gegeben wurde, einen Dolch in den Rücken des Tyrannen zu senken, was dann? Er dachte an die Hoffnungslosigkeit in Aan’aawenhs Blick, und an die Narben auf den Seelen der Fayeí, die vielleicht nie wieder heilen würden, wenn die Kjer ihre Heimat zerschmetterten. Noch immer trieb ihn der Hass auf die Kjer, doch nun aus anderen Gründen. Er hatte es satt, die Furcht in den Augen der Menschen zu sehen. Den Rauch in der Ferne, von einer geplünderten Stadt. Wie Raubameisen vernichteten sie Städte, Königreiche, ganze Welten. Es musste ein Ende haben. Níval durfte nicht in ihre Hände fallen. Es ging nicht mehr um Rache. Er lebte nicht länger in der Vergangenheit. Unmerklich hatten sich Menschen in sein Leben geschlichen, für die es sich lohnte, die Zukunft zu schützen.
    Er ertrug ja kaum Marielles vorwurfsvolles Schweigen, weil er sie nicht vor einer arrangierten Ehe beschützte. Wie sollte er dann damit leben, sie in die Hände der Kjer fallen zu sehen? Und Ken, dieser Junge aus dem Kern mit dem gewaltigen magischen Potenzial, der ihm jetzt schon ans Herz gewachsen war, nach kaum ein paar Tagen? Wie konnte er ihm eine Welt der Wunder eröffnen, wohl wissend, dass dieser Welt der Untergang bevorstand?
    Er löste seinen Zopf und fuhr sich durch die Haare, die verfilzt und voller Knoten waren. Wahrscheinlich sah er aus wie ein Landstreicher. Diese letzte Sache ging ihm im Kopf herum, die er mit Umo erörtert hatte: die Frage nach dem magischen Signal, das die Verschlingerinnen an die Gestade des Nebelsees lockte.
    Ihn quälte trotzdem die Frage, ob er es gewesen war, der die Kjer in diese Dimension gelockt hatte. Selbst wenn ein Agent der Kjer das Leuchtfeuer entzündet hatte, wer wusste schon, ob nicht er genau diesen Mann nach Níval geführt hatte, vor neun Jahren?
    Eines jedenfalls war klar. Selbst wenn er sich opfermütig in ihre Hände begab, würden sie sich nicht zurückziehen. Das Imperium, der größte Parasit des Rabenfächers, lebte von seinen Eroberungskriegen. Der Imperator brauchte sie, um seine Herrschaft zu legitimieren. Die ganze Existenz der Kjer fußte darauf. Selbst ihre Religion drehte sich darum. Schlachtenruhm und Beute, der Treibstoff der Imperialen Welt. Und Níval funkelte wie ein goldener Apfel, ein verführerischer Preis, der vor ihrer Nase pendelte. Niemals würden sie sich den entgehen lassen.
    Doch wenn es ihm gelang, das Leuchtfeuer zu finden, oder besser noch den Handlanger der Kjer, würde er den ganzen Wahnsinn stoppen können. Zumindest für eine Zeit. Für ein paar Jahre, vielleicht sogar Jahrzehnte, in denen sie nach einer Lösung suchen konnten, die Níval auf lange Sicht vor der Invasion schützte. Wenn er das magische Signal vernichtete, würden die Devoras nicht länger gegen die empfindliche Schale dieser Welt anrennen, sondern orientierungslos durch ihre Tunnel streifen oder sich andere Beute suchen.
    Doch wo sollte er mit der Suche beginnen? Das Stechen in seinen Schläfen wurde schlimmer. Er dämmerte in einen halben Schlaf hinüber, aber nicht für lange. Ein Hämmern an der Tür schreckte ihn sofort wieder auf.

    »Marielle«, sagte Eoghan.
    Nur dieses eine Wort. Seine Stimme klang flach und beherrscht. Das konnte nichts Gutes bedeuten.
    Vier Augenpaare

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