Purpurdämmern (German Edition)
sanfte Weise.
Die Häuser des Karmesin-Viertels klebten an einem steil ansteigenden Hügel am Rande der Stadt, abseits der begehrten Seenterrassen mit den Residenzen, die über den Fluten zu schweben schienen. Die Straßen des Gettos summten vor Geschäftigkeit, vibrierten vor Farben und Klängen. Das bunte Treiben zog Künstler und Alchemisten an, aber auch diejenigen unter den Nebel-Fayeí, die ihren Lebensunterhalt mit zwielichtigen Geschäften verdienten. Einheimisches Blut mischte sich mit fremden Säften. Sie liebten und hassten einander, trieben miteinander Handel oder schnitten einander im Dunkeln die Kehlen durch.
Santinos Haus klammerte sich ganz oben an den Abhang. Gold-Jacarandas beschatteten den Sandweg, der vom Fluss heraufführte. Die rückseitigen Fenster boten einen Ausblick auf die Wildblumenfelder, die die Hügel des Hinterlands von Tír na Mórí überwucherten. Goldlack und Erika, Windröschen und Kornblumen. Myriaden winziger Blüten in Gold- und Kobalttönen wiegten sich im warmen Wind. Er mochte sie lieber als die eleganten Orchideen in den Palastgärten.
Er fühlte sich körperlich wund und seelisch zerrissen, als er die Tür aufsperrte und ins stickige Halbdunkel seines Heims eintauchte. Es war kein großes Haus. Ein Raum voller Bücher und eine Küche im Erdgeschoss, das Schlafzimmer und eine winzige Waschkammer in der Kuppel, die das Haus überdachte. Mehr nicht.
Er legte sein Schwert auf den Küchentisch und warf den Mantel daneben. Adrenalin und Willenskraft hatten ihn auf den Beinen gehalten. Jetzt kam der Zusammenbruch mit Macht. Sein Knie schmerzte, als hätte er es sich zertrümmert. In seinen Schläfen hatte sich ein bösartiger Kopfschmerz eingenistet. Schwindlig vor Erschöpfung ließ er sich in den abgeschabten Ohrensessel neben dem Tisch fallen und untersuchte die Verbrennungen unter seinem Armreif. Sein Körper fühlte sich an, als wäre jeder Zentimeter mit Prellungen und Abschürfungen bedeckt. Schlimmer aber war der Klumpen Eis, der ihm im Magen brannte.
Umo hatte recht.
Er konnte sich nicht in der Idylle seines Hauses verbarrikadieren und darauf warten, dass die Kjer in diese Welt einbrachen. So wenig, wie er sich klammheimlich davonstehlen konnte, wenn sie Sarrakhans Erbe in Asche legten. In den Jahrzehnten seiner Flucht kreuz und quer durch die Welten des Rabenfächers war er Freundschaften aus dem Weg gegangen, so gut er nur konnte. Als Vogelfreier, der von den schrecklichsten Armeen der bekannten Welten gejagt wurde, konnte er sich keine Bindungen leisten.
Das meiste in ihm, das gut und edel war, war mit den Türmen von Aruadh in Flammen aufgegangen und mit dem Tod von Tania und den anderen, die er liebte, zu Asche verglüht. Geblieben war eine wühlende, reißende Gier nach Rache, die die leere Hülle füllen sollte, in die sein Geist sich verwandelt hatte. Die Rachsucht trieb ihn an. Jahrzehnte, Jahrhunderte lang. Vergeltungsdurst befeuerte seinen Drang zu forschen und alte Geheimnisse aufzudecken, zwang ihn zum Überleben, trieb ihn dazu, seine Fähigkeiten zu perfektionieren.
Als er Sarrakhans alten Schlupfwinkel entdeckt hatte und die Artefakte darin, war er kaum mehr gewesen als ein Junge, der mit Mächten herumspielte, die er nicht verstand. Dass er dabei nicht zu Tode kam, war Zufall und Glück gewesen. Erst viel später hatte er begriffen, dass der Armreif ihn hätte umbringen können, im Moment, da er seine Hand hineinschob. Dass es eine Chance eins zu einer Million gewesen war, dass etwas in seinen Adern die Magie der Ringe dazu brachte, sich mit ihm zu verbinden.
Und noch später, als er Rhonda traf und die Wucht ihrer Leidenschaft ihn fast besinnungslos schlug, da war ihm sein Vertrauen mit Verrat vergolten worden. Verrat, der ihn um ein Haar das Leben gekostet hatte.
In Tír na Mórí hatte er gegen seinen Willen Freunde gefunden. Die Nebel-Fayeí, so eitel und dünkelhaft sie ihm zuerst erschienen, versorgten seine Wunden, betteten ihn weich in ihr strahlendes Leben und zeigten ihm voller Stolz ihre Welt. Sie gaben ihm das kleine Mädchen, deren Lachen ihn daran erinnerte, wie es sich anfühlte, unschuldig zu lieben.
Was sollte er tun?
Der Schock nach Umos Eröffnung, dass Rhonda ihm ins Scharlachrot gefolgt war, hallte noch in ihm nach. In der Hektik der nachfolgenden Ereignisse hatte er wenig Zeit gehabt, darüber nachzudenken. Doch zu wissen, dass sie sich seit zehn Jahren in dieser Welt aufhielt, zum Greifen nah, ließ ihm das Mark in den
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