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Purpurdämmern (German Edition)

Purpurdämmern (German Edition)

Titel: Purpurdämmern (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Gunschera
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Wahrscheinlich war ihnen das auch klar, aber sie ließen es darauf ankommen. Sie nahmen es als Vorwand, um ihn einzuschüchtern und ihn ein paar Stunden ungestört in die Mangel nehmen zu können.
    Ihm tat der Kopf weh. Draußen war es schon dunkel. Es war kühl in der kleinen Zelle, und die kratzige Decke, die auf der Liege zusammengefaltet lag, sah weder warm noch gemütlich aus. Sie hatten ihn fast den ganzen Nachmittag verhört, erst Roosevelt, dann wieder Flanders, dann alle beide. Sein größtes Problem war, dass er weder für die Schlägerei, noch für die Zeit dazwischen ein Alibi vorweisen konnte. Und dass Mom den Cops vorher vorgeweint hatte, dass er die Nacht nicht nach Hause gekommen war, machte es auch nicht besser.
    Verdammter Mist. Am meisten sorgte er sich darum, dass Coinneach irgendwo dort draußen herumlief und sonst was anstellte. Was, wenn er mit Rosen bei Mom auftauchte, und der Alte mit der Schrotflinte auf ihn losging?
    Über Marielle und Santino wollte er lieber gar nicht nachgrübeln. Wie sie es wohl auffassten, dass er verschwunden und nicht wieder aufgetaucht war? Hoffentlich kamen sie von selbst darauf, dass er sie nicht mit Absicht hängengelassen hatte. Doch wie sollte er die beiden wiederfinden? Sich im Depot auf die Lauer legen und hoffen, dass sie auftauchten? Unwillkürlich rieb er mit dem Daumen über die glasige Stelle an seinem Handgelenk. Die Vorstellung, das alles könnte zu Ende sein, bevor es richtig begonnen hatte, hing wie ein Damoklesschwert über seinem Kopf.
    Im Korridor erklangen Schritte und hielten vor seiner Zelle inne. Er stöhnte innerlich beim Gedanken, zum hundertsten Mal durch die Fragen der Cops zu hecheln. Die Kopfschmerzen wurden schlimmer.
    Metall schabte über Metall. Die Tür schwang auf. Ein hagerer, blasser Typ stand im Türrahmen, wahrscheinlich die Nachtschicht.
    »Ken O’Neill?«
    Ken hob den Kopf.
    »Ich brauche noch ein paar Unterschriften von dir, dann kannst du gehen.«
    »Was?« Er glaubte zuerst, sich verhört zu haben. »Ich dachte, ich soll vor den Haftrichter?«
    »Dein Vater hat deine Aussage bestätigt.«
    »Mein Dad?« Er schüttelte den Kopf. »Aber wieso hat mein Dad –« Abrupt schloss er den Mund, bevor er sich um Kopf und Kragen redete. Wer immer da draußen was auch immer bestätigt hatte, sie ließen ihn laufen. Fragen konnte er später stellen. Er tappte dem Mann nach in das riesige Großraumbüro, das summte und vibrierte wie ein Bienenstock. Etliche der Schreibtische standen leer, doch an den übrigen schien die Geschäftigkeit sich verdoppelt zu haben. Überall klingelten Telefone, darunter hörte man das gedämpfte Murmeln von Stimmen. Klar, nach Einbruch der Dunkelheit ging’s hier wahrscheinlich richtig zur Sache. Zwei Cops kamen ihnen entgegen, zwischen sich einen Penner, der so fürchterlich roch, dass sich Kens Magen schon beim Vorbeigehen zusammenzog. Eine Frau gestikulierte vor einem Schreibtisch. Drei Mädchen hockten auf einer Bank. Zwei tippten auf ihren Handys, die dritte starrte mit verschmiertem Make-up ins Leere.
    Der Blasse ließ ihn einen Stoß Papiere unterschreiben, auf denen er bestätigte, dass sie keine Besitztümer von ihm einbehalten hatten.
    »Und ich muss mich nicht noch mal melden?«, fragte er.
    »Vorläufig nicht.« Der Cop lächelte dünn. »Wieso, gefällt’s dir so gut bei uns? Wir suchen gerade Leute.« Er machte eine Kopfbewegung auf ein Poster hinter sich an der Wand. »Wenn Roosevelt und Flanders noch Fragen haben, melden sie sich.«
    Ken murmelte einen Dank und einen Abschiedsgruß und trat durch die große Glastür ins Atrium.
    Die Polizeistation war im Southwest Public Safety Center untergebracht, einem modernen Beton- und Glasbunker mit kühl polierten Flächen und eingetopften Palmen in allen Ecken. Im Gegensatz zum geschäftigen Großraumbüro wirkte die große Eingangshalle verlassen. Hinter einem Informationstresen blätterte die Rezeptionistin in einer Zeitschrift. Die Kühlung des Getränkeautomaten an der Wand sprang an und verstummte wieder.
    Er fühlte sich verloren und leer und er fröstelte, obwohl er sich zu Hause seine alte Lederjacke übers T-Shirt gezogen hatte.
    »Ken«, rief jemand halblaut.
    Es dauerte ein paar Sekunden, bis er den Mann erkannte, der von der anderen Seite der Halle her auf ihn zuging. Mit Verzögerung traf ihn der Schock.
    Der blonde Penner mit dem entrückten Blick hatte sich in einen Wall-Street-Yuppie verwandelt. Das Einzige, was an den alten

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