Purpurdämmern (German Edition)
einen Freund um Rat fragen.« Sie musterte die Silbereinlegearbeiten auf dem Fußboden, um ihn nicht ansehen zu müssen.
»Einen Freund?«
»Einen Magier.« Sie hörte seine Kleider rascheln, und seine Schritte auf dem Stein. »In einer Welt in den Dämmerschatten.«
»Wenn ich herausfinde, dass Santino davon wusste, breche ich ihm eigenhändig Arme und Beine.« Eoghan schnaubte. »Die Dämmerschatten! Hast du den Verstand verloren?«
»Aber es ist nicht gefährlich. Ich meine, es war nicht –«
»Ich denke, du wärst fast gestorben?«
»Es war nicht gefährlich. Früher nicht.« Endlich blickte sie hoch. Ihr Vater war stehen geblieben, drei Schritt von ihr entfernt. »Ich habe diese Welt schon vor vielen Jahren gefunden. Es war niemals gefährlich. Ich hatte dort einen Freund, der alles weiß, was es im Spektrum zu wissen gibt. Ich wollte ihn wegen der Risse fragen. Ob das Blut dieses … äh, zu zeugenden Kindes der einzige Weg in unsere Ankerwelt ist.«
»Du wolltest dich um dein Versprechen drücken.«
»Welches Versprechen?«
»Das Hochzeitsversprechen.«
»Aber ich habe nichts versprochen!
Du
hast es versprochen!«
Er seufzte. »Du begreifst nicht.«
»Ich habe versucht, eine Lösung zu finden.« Die Tränen erstickten ihr die Stimme. Sie musste schniefen, um überhaupt ein Wort hervorzubringen. Die Würdelosigkeit ihres jämmerlichen Monologs trieb ihr neue Tränen in die Augen. »Wieso glaubt jeder, er könnte über mich bestimmen? Ich bin kein Kind mehr!«
»Du bist die Erbin des Throns von Tír na Mórí.« Seine Stimme verlor an Härte. »Privilegien ziehen Verantwortung nach sich. Je größer das Privileg, desto umfangreicher ist die Verpflichtung, die daraus erwächst. Du bezahlst für die Krone, indem du dein persönliches Glück unter das Glück deines Volkes stellst.«
»Mir ist nur nicht klar, warum das Glück der Tuatha Mórí an meiner Ehe mit Prinz Pickelhefe hängt!«, begehrte sie auf.
Sie glaubte, für einen winzigen Moment Amüsement in seinem Mundwinkel aufblitzen zu sehen.
»Die Tuatha Mórí sehnen sich nach einer Vereinigung mit den Licht-Fayeí …«
»Sie sind langweilig, öde und eingebildet«, fiel sie ein. »Was wollen wir mit denen? Die waschen sich sofort die Hände mit Salz, wenn sie einen von uns anfassen müssen.«
Eoghan hob eine Braue. »Unsere Ersten Familien glauben, dass die Licht-Fayeí die höhere der beiden Abstammungslinien von Sarrakhan repräsentieren.«
»Die Ersten Familien können mir gestohlen bleiben.« Ärger regte sich in ihr und trieb die Tränen zurück.
»Und Maebh, die Königinmutter von Tír na Avalâín, buhlt schon lange um Einfluss in unserer Stadt. Felím, der schwarzäugige Bastard, umwirbt die Ratsmitglieder und macht ihnen Versprechungen in Maebhs Namen.« Er breitete die Hände aus, eine Geste der Hilflosigkeit. »Marielle, ich bin schon lange nicht mehr Herr in meinem Haus. Maebhs Lakaien nutzen das Desaster um dein Verschwinden, um Zweifel an meiner Befähigung als König zu säen. Es könnte passieren, dass der Rat mich formell auffordert, die Krone an dich weiterzureichen und in die Glasgärten zu gehen. Und wenn Ceallacháin deine Vormundschaft übernimmt, wird Tír na Mórí über kurz oder lang als Vasall unter die Herrschaft von Tír na Avalâín fallen.«
In die Glasgärten? Das konnte er nicht ernst meinen. Trotzdem überlief sie ein kalter Hauch, so ähnlich wie im Moment, da ihr beim Belauschen des Gesprächs zwischen Umo und Santino klar geworden war, dass der Magier nicht ihr Freund war.
»Aber warum?«, ächzte sie.
»Gier und Machtfantasien.« Eoghan zuckte mit den Schultern. »Einst waren die Kinder Sarrakhans ein Volk, nicht zwei. Tír na Mórí ist die ältere der beiden Städte, von Sarrakhan selbst errichtet. Tír na Avalâín aber war das Heim der Abtrünnigen, gegründet von Sarrakhans ältestem Sohn, nachdem er seinem Vater den Rücken gekehrt und seine Anhänger mit sich genommen hatte. Heute sind das verstaubte Legenden, doch Maebh hat sie nicht vergessen. Ich denke, sie hält den Zugriff auf die alten Geheimnisse des Tíraphal für ihr Geburtsrecht.«
»Was für Geheimnisse?«
»Vergrabene Schätze vielleicht. Relikte aus Sarrakhans Besitz. Solche wie Santinos Armreif, oder wie sein Schwert, auf das Felím begehrliche Blicke wirft, wenn er sich unbeobachtet wähnt.« Er trat an sie heran und fasste nach ihren Händen, eine Geste unerwarteter Zärtlichkeit, die ihr sofort wieder die Tränen in die
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