Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Purpurdämmern (German Edition)

Purpurdämmern (German Edition)

Titel: Purpurdämmern (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Gunschera
Vom Netzwerk:
nicht vorstellen.
    »Na schön, Clâiragh.« Er verschränkte die Arme vor der Brust. Die Speerspitzen rückten näher. Unmerklich tastete er ins Gewebe. »Worum geht es?«
    »Um einen Verrat, über den verhandelt werden muss.«
    »Verrat?«
    »Hochverrat.« Das Wort rollte Clâiragh über die Lippen wie eine köstliche Süßigkeit. Er genoss die Aufführung dieser Posse und versprach sich zweifellos eine Beförderung, wenn er seinen schwierigen Auftrag zu Ende brachte, den gefährlichen Magier unter Arrest zu stellen. Idioten. Warum lockten sie ihn nicht unter einem Vorwand in den Tíraphal und schlugen ihn nieder, wenn er mit einem Angriff nicht rechnete? Aber es passte zur Natur der Fayeí, zu ihren übertrieben förmlichen Ritualen, die jeden Aspekt der traditionellen Lebensweise durchzog, und zu ihrem Verständnis von Ehre.
    Ein ehrenhafter Fayeí hätte vor Clâiragh den Kopf geneigt und sich in sein Schicksal ergeben.
    Aber Santino war weder Fayeí, noch ehrenhaft im Sinne der Fayeí-Traditionen. Er begriff nur, dass sich Unheil über seinem Kopf zusammenbraute, und dass es sich mit Ketten an den Händen schlecht verhandeln ließ.
    »Könnt Ihr das präzisieren?« Während er sprach, ballte er die linke Faust. Die Brandwunden unter dem Armreif prickelten. Seine Kopfschmerzen flackerten am Rand des Erträglichen, im Moment, da er tiefer ins Gewebe fasste. Er war zu Tode erschöpft, und allmählich rächte sich der Raubbau an seinen Kräften. »Was genau wirft man mir vor?«
    »Ihr werdet beschuldigt –« Der Rest von Clâiraghs Worten ging in einem gewaltigen Zischen unter.
    Santino hämmerte die Faust in einem Halbkreis durch die Luft und öffnete sie, streckte die Finger, schickte seinen Willen ins Gewebe und lud es auf mit Energie. Die Luft erhitzte sich und schimmerte. Die Pferde scheuten, die Speerspitzen gerieten in Bewegung, alles innerhalb eines Sekundenbruchteils.
    Sein Arm schoss zurück und sandte einen Stoß in die Maschen, der die Hitze in einer gewaltigen Eruption explodieren ließ. Chaos brach aus. Die Gewalt der entfesselten Elemente hob Clâiragh aus dem Sattel und schleuderte die vordersten Gardisten rücklings in die Reihen ihrer Kameraden. Schreie stachen durch das panische Wiehern der Pferde. Die Schmerzen in Santinos Schläfen flammten auf zu weißglühender Qual. Seine Sicht verzerrte sich zu schwarzen Schlieren. Er wich einem Speer aus und taumelte rücklings zur Tür. Mit einem Fuß blieb er im Korb hängen und verlor die Balance. Fast im gleichen Moment streifte ihn ein Hieb an der Schulter. Er brachte die Hand hoch, doch seine Konzentration zerfaserte. Sein Kopf drohte zu bersten und der Reif produzierte nicht mehr als ein paar Funken. Er hatte die Reserven des Schmuckstücks beim Kampf gegen die Devora bis zur Neige erschöpft.
    Der zweite Schlag erwischte ihn im Nacken. Benommen stürzte er nach vorn, auf die Hände und das verletzte Knie. Der Aufprall raubte ihm vor Schmerz fast das Bewusstsein. Instinktiv fasste er nach dem Speer, bekam den Schaft zu packen und entriss ihn dem Gardisten. Doch nun drangen sie von allen Seiten auf ihn ein. Er blockte drei oder vier Hiebe, dann traf ihn etwas an der Schläfe. Ein durchdringendes Stechen. Scharlachrot verwirbelten die Schlieren vor seinem Blick. Er schmeckte sein eigenes Blut.
    Das Letzte, was er wahrnahm, war der Duft von Honig und frisch gebackenem Hefeteig und einem exotischen Gewürz, das er nicht zuzuordnen wusste.

14
    Marielle ließ sich bis zum Scheitel in das heiße, nach Anis und Orangen duftende Wasser sinken, massierte sich die verfilzten Locken und tauchte stöhnend vor Wohlbehagen wieder auf.
    Ihr Ärger auf Amalia war fast verflogen. Während sie ihren schmerzlichen Bußgang zum König durchgestanden hatte, war die Gouvernante nicht untätig geblieben und hatte dafür gesorgt, dass die Zofen eine Kupferwanne füllten und frische Kleidung und etwas zu essen herbeischafften. Auf dem Schränkchen am Fußende der Wanne hockte Nessa und putzte sich.
    »Was glaubst du?« Marielle pustete sich Schaum von den Lippen. »Was wird mein Vater machen? Santino verbannen?«
    Jetzt, in der Wärme des Wassers und dem Schleier aus Wohlgerüchen, ertappte sie sich bei dem Gedanken, dass es schade wäre, wenn Santino verschwand. Ihre Wut auf den Magier hatte an Schärfe verloren. Sie beschloss, noch einmal mit Eoghan zu reden, vielleicht morgen früh, wenn er bessere Laune hatte und nicht eine Horde von Gesandten und Hoflakaien sein

Weitere Kostenlose Bücher