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Purpurdämmern (German Edition)

Purpurdämmern (German Edition)

Titel: Purpurdämmern (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Gunschera
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bluten.
    Der Junge packte ihn fester, ein Arm um die Taille, der andere um seinen Rücken. »Kommen Sie, jetzt bloß nicht ohnmächtig werden.«
    Gemeinsam taumelten sie vorwärts, zwischen den Säulen hindurch. Diesmal hatte Santino das Gefühl, dass die Temperatur sich verschob, ganz leicht nur. Es fühlte sich kühler an. Der Moment ging vorbei und er realisierte, dass noch immer die gleichen verrotteten Mauern ihn umgaben. Die gleiche Sonne durch die ruinierten Bogenfenster flimmerte. Taubheit kroch seinen Arm hinab. Die Schmerzen verloren an Schärfe und ballten sich zu einem dumpfen Pochen zusammen.
    Der Junge ließ ihn zu Boden sinken und stolperte beim Versuch, ihn nicht fallen zu lassen. Santino entging nicht der gequälte Ausdruck, der über sein Gesicht flackerte.
    »Wie heißt du?«, fragte er rau.
    »Ken.«
    »Hör zu, Ken. Ich glaube nicht, dass –«
    Ken tippte eine Nummer auf seinem Handy und presste es ans Ohr. »Kein Empfang«, stellte er fest.
    Das Tor, dachte Santino mit wachsender Verzweiflung. Er musste zurück und den Schlüssel finden. Dabei ahnte er schon, dass seine schlimmsten Befürchtungen eingetreten waren. Dass Marielle unbeabsichtigt den Schlüssel verändert hatte und an einen Ort gesprungen war, an den ihr niemand folgen konnte.

    »Vielleicht funktioniert es draußen.« Ken blickte vom leeren Display seines Handys auf, und wieder hinab auf den Mann, der fast so merkwürdig gekleidet war wie das Mädchen.
    Egal, der Typ hatte ihm die Haut gerettet und sich zum Dank auch eine Kugel eingefangen. Am Stehkragen seines Mantels glänzte Blut. Dass Hakennase sein Fett abbekommen hatte, erfüllte ihn mit dumpfer Befriedigung. Darunter lauerte Furcht. Doch zuerst musste er sich um seinen Retter kümmern. Sorgen machen konnte er sich später.
    Wenn nur seine Rippen nicht so grauenvoll geschmerzt hätten.
    Der Fremde hatte Alvin mit einem Schwert aufgeschlitzt. Mit einem Schwert! Die armlange Klinge auf seinem Rücken war definitiv keine Filmrequisite, ebenso wenig wie seine Pistole, die eine Sonderanfertigung sein musste. Feine Gravuren bedeckten den Lauf und schimmerten wie Gold im schräg darauffallenden Licht.
    Ken riss sich vom Anblick los und lief hinaus auf die Treppe. Er starrte aufs Handy-Display und wartete, dass er wieder Empfang hatte. Nichts geschah. Vielleicht war der Sendemast ausgefallen. Hinter den dichtbelaubten Kronen der Apfelbäume lugte das Dach ihres Hauses hervor. Es war ja nicht weit, nur quer durch den Park, und er könnte nach Hause laufen, um von dort aus die Ambulanz –
    Moment
.
    Er rieb sich die Augen, aber das Bild blieb unverändert. Die Baumkronen leuchteten satt und grün im Abendlicht.
    Das war ja bizarr.
    Er hätte schwören können, dass sie heute Morgen kahl gewesen waren. Und während er daraufstarrte, fiel ihm noch etwas auf: Die Sonne stand zu tief.
    Er konnte doch unmöglich vier Stunden im Depot verbracht haben. Als er sein Fahrrad hineingeschoben hatte, war es früher Nachmittag gewesen und jetzt brannten die Wolken in Messing- und Purpurtönen. Das Gefühl von Unwirklichkeit wurde stärker. Vielleicht hatten die Prügel seine Sinne beschädigt und er sah Gespenster?
    Sein Handy blieb jedenfalls tot. Mit einem Fluch schob er es in die Hosentasche und rannte zurück in die Halle. Es überlief ihn siedend heiß, als er zu Hakennase blickte und sah, dass der Kerl verschwunden war. Wenigstens brauchte er die Ambulanz dann nicht zu rufen. Und er hatte einen Zeugen, falls die Cops auftauchten und auf die Idee kamen, er könnte etwas mit der Schießerei zu tun haben. Darüber, was die anderen aus Pats Gang mit ihm anstellten, wenn sie ihn in die Finger kriegten, wollte er gar nicht nachdenken.
    Der Fremde hatte sich aufgerichtet und lehnte schwer atmend an der Säule, die Hand gegen die Schulter gepresst. Blut sickerte zwischen seinen Fingern hindurch.
    »Mein Handy funktioniert nicht«, erklärte Ken. »Aber ich wohne gleich um die Ecke. Ich könnte von da einen Arzt anrufen.«
    Das Gesicht des anderen hellte sich auf. »Hast du Verbandsmaterial in deinem Haus?«
    »Einen Erste-Hilfe-Kasten.«
    »Gut.« Diesmal sträubte der Mann sich nicht gegen Kens stützenden Arm. »Dann bring mir den Verbandskasten her und lass den Arzt aus dem Spiel.«
    »Wie heißen Sie?«
    »Santino.« Ein schmerzverzerrtes Grinsen. »Und spar dir die Förmlichkeiten.«
    »Wollen Sie auf den Treppenstufen warten, bis ich zurück bin?«
    Santino knurrte eine unverständliche

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