Purpurdämmern (German Edition)
Mauern erklimmen. Dann fiel ihm Hakennase ein, der vielleicht noch irgendwo im Depot herumschlich, und er wollte dem Gangster nicht den Weg zu seinem Versteck zeigen. Und ganz tief unten flammte eine weitere Regung in ihm auf.
Wut.
Wut auf sich selbst, weil er ein Feigling war. Santino hatte ihn vor Pats Gangsterfreunden gerettet, sich dabei eine Kugel eingefangen, und zum Dank ließ er ihn hängen?
Die Wut schwoll zu einer heißen Lohe. Sein Vater nannte ihn einen Waschlappen. Wie konnte er zulassen, dass sich Dads Beleidigungen im Nachhinein als wahr erwiesen? Er würde sich nicht wie eine Ratte in ihrem Loch verkriechen, während andere für ihn bluteten. Sein Blick flog über die Betonbrocken, die den Boden übersäten. Wenn er den Wolf von Santino ablenkte und ihm eine Atempause verschaffte, konnte der nach dem Schwert greifen und dem Vieh eins überziehen.
Ken bückte sich nach einem Stein. Die Wut brannte nun so hell, dass sie sich anfühlte wie ein Sirup, der ihm den Arm hinabrann und jeden einzelnen Finger füllte. Er wurde sich der Muskeln in seinen Armen bewusst, mit denen er Wände erklimmen konnte. In seinem Körper steckte Kraft. Er war kein Schwächling, wie Pat behauptete. Adrenalin weitete seine Adern. Er zielte und schleuderte sein Geschoss.
Genau in dem Moment, da der Brocken sich aus seinem Griff löste, geschah etwas Seltsames. In seinen Fingerspitzen prickelte es, als würden Funken überspringen.
Im Flug verwandelte der Stein sich in ein goldglühendes Projektil, traf den Wolf an der Flanke und detonierte in einer Druckwelle, die Ken rücklings zu Boden schleuderte. Hitze waberte über ihn hinweg. Ein stinkender Sprühregen ging auf ihn nieder. Er konnte nicht aufstehen, japste nach Luft und bildete sich ein, sich jeden Knochen im Leib gebrochen zu haben.
Nach einer gefühlten Ewigkeit lichteten sich die Schlieren vor seinen Augen.
»Ken? Hey, alles okay?«
Santino packte ihn unter der Schulter und zog ihn auf die Beine. Ken stöhnte, weil eine Myriade winziger Nadelstiche durch seine Glieder tobte.
»Sarrakhans behaarter A… äh Arm, wie hast du das gemacht?«
»Ich … was?« Sein Hirn weigerte sich, zu begreifen, was geschehen war. Wie betäubt wischte er sich die Schmiere vom Gesicht. Es war Blut. Der Anblick erfüllte ihn mit solchem Grausen, dass er haltlos zu zittern begann. »Der Wolf«, stammelte er, »ist er weg?«
»Das war kein Wolf.« Santino ließ ihn gegen die Mauer sinken und trat einen Schritt zurück. Von Kopf bis Fuß war er mit dem blutigen Sprühregen bedeckt. »Das waren Spalthunde.«
Und natürlich hatte der Junge, der nun bleich vor Entsetzen und mit blutiger Nase an der Wand kauerte, keine Ahnung, was das bedeutete. Santinos Magen fühlte sich an wie mit einer Eisschicht ausgekleidet. Spalthunde im Scharlachrot, und dann so dicht am Kern. Das war mehr als nur beunruhigend. Es versetzte ihn in Panik.
In seiner Schulter wühlte dumpfer Schmerz. Der Hund hatte die Schramme weiter aufgerissen, und wenn Ken die Kreatur nicht mit seiner Feuerkugel erwischt hätte, wäre der Kampf hässlicher ausgegangen.
Nessa, Marielles Purpurkatze, flanierte die Betonstufen hinauf, als wäre sie nicht gerade um ein Haar von zwei reißzahnbewehrten Ungeheuern zerfleischt worden. Bei genauerem Hinschauen bemerkte er, dass ihre Schwanzspitze zitterte und dass ihr Fell an den Pfoten in einer ungesunden Mischung aus Grün und Braun changierte. Er gestattete sich einen Moment der Schadenfreude, dann streckte er die Hand nach ihr aus.
Nessa blieb stocksteif stehen.
Untersteh dich.
Obwohl sie nur in seinem Geist echote, schaffte sie es, hochmütige Abscheu in ihre Worte zu legen.
Bei Sarrakhan, er konnte den eitlen Fellball nicht ausstehen.
Fass mich nicht an! Was ist das für Schleim an deinen Händen?
»Die Reste des Köters, der dich fressen wollte. Wo steckt Marielle?«
»Mr Santino? Sir? Alles in Ordnung mit Ihnen?«
»Äh, was?« Er warf einen Blick über die Schulter.
Er meint, ob du alle Tassen im Schrank hast, weil du mit einer Katze sprichst,
erläuterte Nessa.
»Sie ist keine gewöhnliche Katze. Sie kann sprechen, das heißt –« Während er noch versuchte, es zu erklären, wurde ihm bewusst, wie idiotisch das klang. Jedenfalls für jemanden, der keine Ahnung von Magie oder den Dimensionen jenseits seiner eigenen Welt hatte. Andererseits konnte man einen Jungen, der einen Stein in eine Sprengkapsel verwandelte, wohl kaum als magieunkundig bezeichnen. Trotzdem
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