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Purpurschatten

Purpurschatten

Titel: Purpurschatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philipp Vandenberg
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finden könnte. Wenn Sie wollen, begleite ich Sie. Schließlich habe ich etwas gutzumachen. Und mit Keyserling habe ich noch ein Hühnchen zu rupfen. Das werden Sie verstehen, Signore.«
    Der Vorschlag klang nicht übel. Mit Hotelportiers hatte Brodka stets gute Erfahrungen gemacht, und so verabredeten sie sich für den folgenden Tag.

K APITEL 10
    Entgegen allen Erwartungen erlangte Professor Collin das
Sprachvermögen wieder. Es begann mit unartikulierten Lauten, die der
gelähmte Mann zehn Tage nach dem Unfall ausstieß. Seither machte er
beinahe täglich Fortschritte. Es gelang ihm bereits, kurze Sätze zu
formulieren, meist rüde Befehle oder bösartige Nörgeleien, die das
Klinikpersonal zur Verzweiflung trieben.
    So bestand er darauf, daß die Tür zu seinem Zimmer im dritten Stock
Tag und Nacht geöffnet blieb, damit er verfolgen konnte, was auf dem
Gang vorging. Bald konnte er mit Hilfe des Steuerknüppels vor dem Mund
seinen Rollstuhl durch die Gänge lenken; nur beim Bedienen des Lifts
brauchte er einen Helfer, der die gewünschten Knöpfe drückte.
    Oberarzt Dr. Nicolovius leitete die Klinik kommissarisch, doch
nominell war nach wie vor Collin der Chef. Nicolovius hatte keinen
leichten Stand, denn Collin verfolgte jede seiner Handlungen mit
Argwohn; seit zwei Tagen bestand er sogar darauf, daß schwierige
Operationen in seinem Beisein durchgeführt wurden.
    Der Mann im Rollstuhl, dessen Körper und Kleidung vor jeder
Operation, die er sich anschaute, umständlich und zeitraubend
sterilisiert werden mußten, erwies sich immer mehr als untragbare
Belastung für den reibungslosen Arbeitsablauf in der Klinik. Nicht
wenige wünschten diesen unerträglichen Quälgeist in die schwärzeste
Hölle. Besonders die Schwestern hatten unter seinen Ausfällen zu
leiden. Collin überschüttete sie mit giftiger Kritik oder pöbelte sie
an; keine konnte dem schwerkranken Mann etwas recht machen. Die meisten
weigerten sich, sein Zimmer im dritten Stock überhaupt noch zu betreten.
    Collins Lebensumstände und die damit verbundene Bewegungsunfähigkeit
hatten ihn nur vorübergehend dem Alkohol entwöhnt. Inzwischen soff er,
übrigens mit Billigung seines Oberarztes Dr. Nicolovius, mehr als je
zuvor. Er trank Unmengen von Cognac – für ihn die einzige
Möglichkeit, seinen Zustand zu ertragen. Doch für seine Mitarbeiter
brachen dadurch noch schlimmere Zeiten an.
    Vom Hausmeister der Klinik, einem technischen Improvisationsgenie,
wurde Collins elektrischer Rollstuhl umgerüstet, daß er doppelt so
schnell fahren konnte wie eigentlich vorgesehen. Seither machte es
Collin ein besonderes Vergnügen, mit hoher Geschwindigkeit durch die
Gänge zu jagen und Patienten und Personal zu schikanieren.
    Collin schien nur noch Interesse am Alkohol zu haben und daran,
andere mit den Abgründen der menschlichen Seele zu konfrontieren.
    Seine ehemalige Sekretärin wurde von Collin beauftragt
herauszufinden, wo Juliette sich aufhielt. Die Aufgabe nahm beinahe
ihre ganze Zeit in Anspruch, obwohl Collin ihr mehrere Anlaufstellen,
Namen und Adressen genannt hatte; aber jede erwies sich als ein Schlag
ins Wasser.
    Als telefonische Recherchen keinen Erfolg brachten, verlangte Collin
von ihr, einen ganzen Tag lang den Eingang zu Brodkas Wohnung zu
bewachen. Die Sekretärin legte sich in ihrem Auto zwölf Stunden auf die
Lauer – ohne Ergebnis.
    Als sie Collin am folgenden Tag davon unterrichtete, geriet der
Professor außer sich, drehte sich in seinem Rollstuhl immer wieder um
die eigene Achse und stieß üble Verwünschungen aus. Ängstlich wich die
Sekretärin in eine Ecke des Zimmers zurück.
    Collin sah die Furcht in ihren Augen, und sie erregte ihn. Er
richtete seinen Rollstuhl aus, drückte den Steuerlöffel nach vorn, und
sein unheimliches Gefährt schoß auf die junge Frau zu. Diese versuchte
auszuweichen, doch Collin reagierte ebenso schnell, lenkte den
Rollstuhl zur Seite und preßte die Frau gegen die Wand.
    Sie schrie in Todesangst um Hilfe, unfähig ihrem Peiniger zu
entfliehen. Wie wild schlug sie auf Collins Kopf ein, mit dem der
Professor den Rollstuhl steuerte.
    Mit stechenden Augen setzte Collin sein unheimliches Gefährt ein
paar Zentimeter zurück, um von neuem Anlauf zu nehmen. Dabei bohrten
sich seine toten Knie in die Oberschenkel der Frau. Wieder schrie
sie – weniger aus Schmerz als aus Abscheu vor diesem Ungeheuer.
    Endlich, nach endlosen Augenblicken der Qual, wurden die Hilferufe
gehört. Ein Pfleger eilte zu Hilfe

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