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Purpurschatten

Purpurschatten

Titel: Purpurschatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philipp Vandenberg
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und versuchte Collin in seinem
Rollstuhl wegzuziehen. Collin wendete sein Gefährt so plötzlich, daß
der Pfleger strauchelte; aber im Fallen bekam der Mann eines der Kabel
zu fassen, die von den Batterien zum Motor führten. Der Pfleger riß es
aus dem Steckkontakt, und im nächsten Augenblick stand der Rollstuhl
still.
    Schluchzend kauerte die Frau am Boden. Der Pfleger half ihr auf und
führte sie aus dem Zimmer. Collin blieb in seinem unbeweglichen
Rollstuhl zurück.
    Auf den Vorfall angesprochen, reagierte Collin am
folgenden Tag mit gespielter Fassungslosigkeit. Er lallte
unartikuliert, alle Vorwürfe seien erstunken und erlogen; man suche nur
nach einem Vorwand, ihn loszuwerden.
    Obwohl Collins Sekretärin außer ein paar blauen Flecken keine
Verletzungen davongetragen hatte, nahm Dr. Nicolovius den Zwischenfall
sehr ernst. Am Abend versammelte er in seinem Zimmer die Belegschaft.
Gegen seinen Willen und ohne Zustimmung seiner Ehefrau Juliette,
erklärte Nicolovius, könne der Professor nicht in ein Pflegeheim
eingewiesen werden. Andererseits stelle Collins Zustand für Personal
und Patienten der Klinik eine Gefahr dar.
    Collin sei verrückt, meinte der Pfleger, der die Sekretärin aus der
Gewalt des Professors befreit hatte; es sei unzumutbar, ihn weiter in
der Klinik zu belassen.
    Aus Angst vor einer neuerlichen Wahnsinnstat des Professors drohten
zwei Schwestern mit Kündigung. Und die beiden Assistenzärzte lehnten
die weitere Verantwortung für das Wohl der Patienten ab, solange ›der
Wahnsinnige‹ in der Klinik sein Unwesen treibe.
    Unbemerkt hatte Collin seinen Rollstuhl vor die Tür seines
Oberarztes gesteuert. So wurde er Zeuge der Anschuldigungen. Niemand
sah das teuflische Grinsen, das für einen Augenblick über sein Gesicht
huschte.
    Marco, der Portier vom Hotel Excelsior, fuhr einen
hellblauen Fiat Cinquecento, der schon manche Karambolage überstanden
hatte, und wie alle Italiener liebte er seinen Kleinwagen über alles.
Man hätte meinen können, daß sich diese Liebe in besonders schonender
Behandlung des Kleinwagens äußerte, aber das war nicht der Fall. Am
Steuer war Marco, sonst ein Ausbund an Ruhe und Gelassenheit, ein
anderer Mensch.
    Er jagte den Zweizylindermotor hoch, als säße er am Steuer eines
Ferrari. Und was ihm an Beschleunigung fehlte, machte er durch die
Kleinheit des Autos wett; jedenfalls fand er immer eine Lücke in den
Fahrzeugkolonnen, die sich auf den Ausfallstraßen südwärts bewegten.
    Während Juliette auf dem Beifahrersitz beinahe hautnah die
Stoßstangen von Last- und Lieferwagen zu sehen bekam, wurde Brodka auf
der hinteren Sitzbank vom Lärm des luftgekühlten Heckmotors traktiert,
der eine Unterhaltung unmöglich machte. Auf diese Weise blieben ihm
zahllose italienische Schimpfwörter erspart, deren Marco sich im
morgendlichen Berufsverkehr bediente, um besser voranzukommen und von
denen ›puttana‹, Nutte, und ›porco dio‹, Schweinegott, noch die
gängigsten waren.
    Für die Fahrt nach Gaeta wählte Marco die Autostrada 2, die zwar
gebührenpflichtig, aber dafür staufrei ist. An der Ausfahrt Cassino bog
er auf die 630 ab, die sich übers Gebirge bis ans Meer schlängelt.
    Gaeta liegt auf einer Halbinsel. Nur ein kleiner Stadtteil stammt
aus dem Mittelalter; die steinigen Buchten und langen Strände sind von
zahlreichen Villen und Hotels besiedelt.
    Die Portiers der meisten Hotels kennen sich vom Telefon, und so
steuerte Marco zielsicher das Hotel Serapo an, einen verschachtelten
Gebäudekomplex am Fuße des Monte Orlando, um sich nach Walter
Keyserling zu erkundigen. Brodka und Juliette warteten unterdessen im
Wagen.
    Nach zehn Minuten kehrte Marco mit der Nachricht zurück, Keyserling
wohne zweihundert Meter landeinwärts in einem Haus von rosaroter Farbe,
was in Italien nicht selten, in dieser Gegend aber ungewöhnlich sei.
    Marco fand das Haus auf Anhieb. Brodka bat ihn, zunächst im Auto zu
bleiben und den Eingang nicht aus den Augen zu lassen. Durch den großen
Garten, der von niedrigen Bäumen bewachsen war, erreichten Brodka und
Juliette das Haus.
    Auf ihr Klopfen öffnete eine freundliche, anmutige Frau von dunklem
Typ, die jedoch sofort verschwand, als Keyserling in der Tür erschien.
    Einen Augenblick standen sich der Hausherr und die unerwarteten
Besucher sprachlos gegenüber. Brodka befürchtete schon, Keyserling
könnte ihnen die Tür vor der Nase zuschlagen, als dieser plötzlich
erklärte, ohne seine Bestürzung zu überspielen: »Ich

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