Pyramiden
gab sich einen inneren Ruck. »Ein Mann, ein Messer.«
»Bei der Wa-hahl?«
Er hob die Schultern. Vielleicht stimmte es sogar. »Wichtig ist: Jeder wird daran beteiligt. Die Epheber sind sehr stolz darauf. Jeder von ihnen hat …« Teppic legte eine weitere Pause ein und ahnte langsam, daß er bestimmte Dinge durcheinanderbrachte. »Jeder hat eine Klinge. Frauen sind natürlich eine Ausnahme. Und Kinder. Und Verbrecher. Und Sklaven. Und Dumme. Und Bürger ausländischer Herkunft. Und Leute, die keinen guten Ruf genießen. Und noch viele andere. Aber die übrigen entscheiden über den Nachfolger des amtierenden Tyrannen. So etwas nennt man Zivilisation. Wenn du mich fragst: Ephebe ist eine sehr zivilisierte Zivilisation.«
Ptraci dachte darüber nach.
»Darauf läuft Mokratie hinaus?«
»Man hat sie in Ephebe erfunden«, entgegnete Teppic und fühlte sich in die Defensive gedrängt.
»Bestimmt fällt es dem Tyrannen schwer, so etwas zu exportieren«, sagte Ptraci mit fester Stimme.
Die Sonne war nicht nur ein Ball aus brennendem Dung, der von einem riesigen Käfer über den Himmel geschoben wurde. Sie stellte auch ein Boot dar. Es kam ganz auf die jeweilige Perspektive an.
Mit dem Licht stimmte etwas nicht. Es schien so schal zu sein wie Wein, den man wochenlang in einem Glas sich selbst überließ. Es fehlte optischer Geschmack. Der Sonnenschein brachte zwar Helligkeit, aber ohne jede Begeisterung. Er wirkte so lustlos wie der Glanz des Mondes nach einem sonnigen Tag.
Doch Ptaclusp dachte in erster Linie an seinen Sohn.
»Weißt du, was mit ihm los ist?« fragte er.
IIb nagte kummervoll an seinem Griffel. Die rechte Hand schmerzte. Er hatte versucht, seinen Bruder zu berühren, und sprühende Funken brannten ihm die Haut von den Fingern.
»Ich glaube schon«, erwiderte er besorgt.
»Kannst du ihm helfen?«
»Das bezweifle ich.«
»Wie lautet deine Diaknohse?« Der Baumeister räusperte sich. »Ich meine, wie geht es ihm?«
»Nun, äh, Vater. Als wir an der Pyramide hochkletterten, als sie sich nicht entladen konnte … Weißt du, ich bin ziemlich sicher, daß sie sich drehte. In der Zeit. Und in einer anderen Dimension. Äh.«
Ptaclusp rollte mit den Augen. »So spricht kein Architekt, Junge«, sagte er. »Was ist mit Zwei-Ah?«
»Ich fürchte, er leidet an einer dimensionalen Störung, Vater. Er kann Zeit und Raum nicht mehr unterscheiden. Deshalb kriecht er ständig zur Seite.« IIb sah seinen Vater an und lächelte schief.
»Er hielt nie viel davon, hoch erhobenen Kopfes zum Ziel zu marschieren«, wandte Ptaclusp ein. »Das ist natürlich im übertragenen Sinne gemeint. Ich meine …«
Sein Sohn seufzte. »Du hast völlig recht, Vater«, erwiderte er. »Zwei-Ah neigte immer dazu, finanzielle Umwege zu machen. Investitions-Abkürzungen lehnte er ab. Völlig normal für einen Buchhalter, der sich ständig von roten Zahlen bedroht sieht. Aber jetzt kriecht er nicht etwa, weil er den Gerichtsvollzieher fürchtet. Auch die Steuerfahndung kann sein Verhalten nicht ausreichend erklären. Der Grund dürfte eine individuell veränderte Zeit-Struktur sein.«
»Völlig klar«, log Ptaclusp und runzelte die Stirn. IIas Problem bestand nicht nur darin, daß er kroch. Hinzu kam, daß er flach war. Nein, nicht flach wie eine Karte. Eine flache Karte hat Kanten, die bei IIa völlig fehlten, IIa war so flach, wie man nur sein konnte.
»Er erinnert mich an die Leute in Fresken«, sagte der Baumeister. »Es gibt keine, äh, Tiefe.«
»Sie verbirgt sich bestimmt in der Zeit«, entgegnete IIb hilflos. »In unserer, nicht in seiner.«
Ptaclusp trat um seinen anderen Sohn herum und beobachtete, wie ihm das flache Etwas folgte. Er kratzte sich am Kinn.
»Er ist also imstande, sich in der Zeit zu bewegen?« fragte er langsam.
»Das wäre durchaus möglich, ja.«
»Könnten wir ihn vielleicht dazu überreden, einige Monate in die Vergangenheit zurückzukehren und uns vor dem Bau der Großen Pyramide zu warnen?«
»Er ist wohl kaum in der Lage, sich uns verständlich zu machen, Vater.«
»Nun, zumindest das hat sich nicht verändert.« Ptaclusp nahm Platz, stützte das Kinn auf die Hände und dachte über die gegenwärtige Situation nach. Ein Sohn völlig normal und dumm, der andere flach wie ein Schatten. Welch ein Leben erwartete den armen flachen Burschen? Seine Aussichten bestanden darin, Schlösser zu knacken, Eis von Windschutzscheiben zu kratzen und kostenlos in den Hosenspannern von Hotelzimmern zu
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