Quade 01 - Verzaubert von deinen Augen
gekauft hatte, waren schlichte, praktische
Dinge aus Wolle und Leinen, aber das änderte nichts daran, daß sie sich reich
vorkam wie eine Prinzessin. So muß es sein, wenn man als Mätresse eines Mannes
lebte, dachte sie.
Eine gute Stunde später drehte Lydia
den Heißwasserhahn über der Wanne auf und zog sich aus, um ein Bad zu nehmen,
ein Luxus, den sie seit der Zeit vor Kriegsbeginn nicht mehr genossen hatte.
Als sie mit frisch gewaschenem Haar
und rosig glänzender Haut aus der Wanne stieg, fühlte sie sich wie eine Frau,
die dem Tode entronnen und zu neuer Pracht wiederauferstanden war.
Sie trocknete ihr Haar und kämmte
es, zog saubere neue Unterwäsche an und entschied sich für ein Kleid aus
grau-weiß gestreiftem Baumwollstoff mit hohem, steifem Kragen. Darunter trug
sie die neuen Strümpfe, die noch ein wenig kratzten, und ein Paar glänzend
schwarzer Schuhe. Ihre alten Sachen stopfte sie in den Abfallkorb im Badezimmer.
Da sie inzwischen wieder hungrig
geworden war, ging sie zum Restaurant hinunter, wo sie mit Mister Quade das
Frühstück eingenommen hatte. Da er nirgendwo zu sehen war, machte sie sich nach
dem Essen auf den Weg zum Saloon, um ihre wenigen Habseligkeiten abzuholen.
Jim, der Barkeeper, hielt sich im
Hinterzimmer auf und packte Kisten mit irischem Whisky aus. Als er Lydia in
ihren neuen Kleidern sah, pfiff er anerkennend durch die Zähne.
»Miss McQuire!« sagte er
beeindruckt. »Was ist geschehen? Sind Sie einer guten Fee begegnet?«
Lydia lächelte. »So ähnlich, Jim.
Ich fahre nach Seattle und heirate einen Sägewerksbesitzer.«
Ein besorgter Blick trübte Jims
kluge Augen. »Aha, so ist das. Aber Sie sollten vorsichtig sein, was diese
Brautsucher betrifft, Miss. Wir haben einige sehr unschöne Dinge in dieser
Hinsicht erlebt.«
Lydia bezweifelte nicht, daß Jim die
Wahrheit sagte, aber sie konnte einfach nicht in San Francisco bleiben und
weiter von der Hand in den Mund leben, ohne je zu wissen, wo sie übernachten
sollte oder wann sie ihre nächste Mahlzeit einnehmen würde. Das Schicksal hatte
ihr eine Chance geboten, und die würde sie ergreifen, selbst wenn ein Risiko
damit verbunden war.
»Ich werde vorsichtig sein«,
versprach sie. Der Gedanke, daß niemand sie vermissen würde, wenn sie nach
Seattle fuhr und vielleicht für immer in einem Bordell verschwand, tat weh.
»Sie wollen sicher Ihre Sachen
abholen«, meinte Jim, und eine Spur von Resignation klang in seiner Stimme mit.
»Ich nehme nur meine Bücher und
einige wenige persönliche Dinge mit«, entgegnete Lydia. »Vielleicht können Sie
den Rest verschenken, falls Sie jemanden kennen, der die Sachen brauchen kann.«
Der Barkeeper nickte. »Natürlich. Es
gibt eine Menge Leute, die sich darüber freuen werden.«
Ohne mehr dazu zu sagen, ging Lydia
in den Lagerraum und öffnete den Koffer, der in einer Ecke stand. Es stimmte
sie nicht traurig, ihre alten, abgetragenen Kleider zurückzulassen, aber sie
nahm die Fotografien ihrer Eltern an sich und die Bronzemedaille, die ihr ein
sterbender Soldat geschenkt hatte, ihr Tagebuch, den Ehering ihrer Großmutter
und ihre Briefe. All das legte sie in ein Tuch, verknotete es und stieg die
Stufen zum Saloon hinunter.
Jim war nirgendwo zu sehen, was
Lydia nicht erstaunte. Er war ihr ein guter Freund gewesen, und eine
Abschiedsszene hätte beide zu sehr geschmerzt.
Lydia trat an die schwarze Tafel,
auf der Jim seine Bestellungen notierte, nahm ein Stück Kreide und schrieb: Danke
für alles; Jim. Dann kehrte sie ins Hotel zurück.
Am Abend speiste sie mit Mister
Quade in einem Restaurant, das für seine hervorragenden Beefsteaks bekannt war,
und später führte er sie in ein Theater, in dem eine fahrende Schauspielertruppe
ein Melodrama aufführte.
Lydia begann sich zu fragen, wann
die Trauung stattfinden würde, ob sie und Mister Quade noch hier in San
Francisco oder erst in Seattle heiraten würden. Da sie jedoch nicht gerade
begierig war, die Pflichten zu erfüllen, die nach der Hochzeit auf sie
warteten, bezähmte sie ihre Neugierde und beschränkte sich darauf, zuzusehen,
wie die Ereignisse ihren Lauf nahmen.
Am nächsten Tag trat ihr zukünftiger
Mann erst zum Abendessen in Erscheinung und machte einen gehetzten, geistesabwesenden
Eindruck. Lydia hatte einen Teil ihres kostbaren Kapitals darauf verwandt, eine
Kutschenfahrt durch die Stadt zu unternehmen und hatte sich am Hafen von einer
Zigeunerin die Zukunft voraussagen lassen. Doch da Mister Quades
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