Quade 02 - Goldene Sonne die dich verbrennt
wüßte, daß ich
hier bin ...«
»Das kannst du ihm natürlich nicht
verraten«, warf Alev ein. »Und ich werde deinen Brief lesen, damit du nichts ...
Unvorsichtiges berichtest. Rashad würde ihn dann aus Spanien oder Marokko
abschicken lassen.«
Charlotte stellte sich ihren Vater
und Lydia beim Lesen eines solchen Briefes vor. Papa würde zornig sein, aber
Lydia würde ihn beruhigen. Millie würde sagen, sie hätte schon immer damit
gerechnet, daß ihre Schwester so etwas Romantisches tun würde wie mit einem
Fremden durchzubrennen, und ihre Brüder waren noch zu klein, um über derlei Angelegenheiten
nachzudenken.
Die Heirat würde natürlich eine Lüge
sein, und Charlotte war ihrem Vater und ihrer Stiefmutter gegenüber noch nie
unaufrichtig gewesen. Aber wenn sie sie auf diese Weise vor Trauer und Leiden
schützen konnte ...
»Schreib deinen Brief«, sagte Alev.
»Rashad und ich kümmern uns um den Rest.«
Charlotte nickte traurig.
Alev schnappte plötzlich scharf nach
Luft und umklammerte ihren Bauch. Anscheinend hatten ihre Wehen eingesetzt.
»Hast du Schmerzen? Soll ich
jemanden holen?« fragte Charlotte besorgt.
»Ja! Hol Rashad. Sag ihm, daß die
Zeit gekommen ist.« Charlotte eilte in den Harem, wo sie den Eunuchen an seinem
üblichen Platz auf dem Podium antrat.
»Alev ist bereit. Die Geburt
beginnt«, berichtete sie hastig. »Sie ist draußen, auf der Bank unter der
Ulme.«
Rashad eilte wortlos hinaus, und
Charlotte folgte ihm, um Alev in ihrer schweren Stunde beizustehen.
Der Eunuch hob sie auf und trug sie
hinein, wo eine hektische Aktivität einsetzte. Die Frauen schnatterten wie
aufgeregte Hennen, bis die Sultanin eintrat und sie mit einer Handbewegung zum
Schweigen brachte. Dann bedeutete sie Rashad, ihr zu folgen, und der Eunuch,
die alte Dame und die Schwangere verschwanden.
Charlotte wartete eine Weile mit den
anderen, bevor sie hinausging und auf die Ulme stieg, um aufs Meer hinauszuschauen.
Aber Patricks Schiff war nirgendwo zu sehen, und so drehte Charlotte sich zur
Wüste um und fragte sich, was dahinter liegen mochte.
Später, in einer stillen Ecke des Hamam, schrieb sie einen langen Brief voller Lügen und adressierte ihn an ihre
Eltern.
Fünf
Charlotte wartete gespannt auf Nachrichten
von Alev. Als Rashad aus den Gemächern der Sultanin kam, stürzte Charlotte auf
ihn zu. »Wie geht es ihr?«
Der Eunuch seufzte. »Es wird ein
harter Tag für sie werden«, sagte er auf seine förmliche Art. »Aber wenn sie
dem Sultan einen Sohn schenkt, wird sie eine Kadin.«
Charlotte biß sich auf die Lippe und
verkniff sich ihre Empörung über eine Gesellschaft, die Frauen nur den Status
hübscher Puppen oder Zuchtmähren gewährte. »Und wenn sie dem Sultan eine
Tochter schenkt?«
Rashads dunkle Augen drückten
Verständnis, aber auch eine sanfte Warnung aus. »Weibliche Kinder bleiben bei
ihren Müttern, solange sie klein sind, und wenn sie klug sind, werden sie auf
eine Schule geschickt. Die Töchter eines Sultans sind immerhin Prinzessinnen.«
Ein lauter Schrei erklang aus den
Gemächern der Sultanin, und es schauderte Charlotte bei dem Gedanken, wie es
sein mußte, der Gnade dieser alten Frau ausgeliefert zu sein, vor allem bei
einer Geburt. »Ich möchte zu Alev«, sagte sie und begann um Rashad
herumzugehen. »Ich könnte ihr helfen ...«
Der Eunuch hielt sie am Arm zurück.
»Die Sultanin duldet keine Einmischung«, sagte er. »Es ist gefährlich, ihren
Wünschen zuwiderzuhandeln.«
Verzweiflung und Wut erfaßten
Charlotte, als sie Alev von neuem schreien hörte. »Das ist mir egal!« zischte
sie und versuchte, sich loszureißen.
Doch Rashad gab sie nicht frei,
sondern drängte Charlotte durch den Hamam und an den Bädern vorbei in
einen Raum, der so etwas wie ein sehr komfortables Verlies war mit seinen
Teppichen und Diwanen. Sogar eine Schale Obst und Karaffe Wasser standen auf
dem Tisch. Charlotte starrte Rashad betroffen an.
»Keine Angst, ich werde Ihnen nichts
zuleide tun«, sagte er ruhig.
»Dann lassen Sie mich heraus aus
diesem ... Luxusgefängnis!«
Der Eunuch deutete eine Verbeugung
an. »Selbstverständlich«, stimmte er zu. »Sobald Alev ihr Kind geboren hat,
steht es Ihnen wieder frei, sich zu den anderen zu gesellen.«
»Frei!« höhnte Charlotte. »Ich bin
eine Gefangene an diesem Ort — ein Vogel in einem vergoldeten Käfig, und ich
begreife nicht, warum das niemand zugibt!«
Rashad überraschte sie mit einem
leisen Lachen. »Sie sind ein sehr
Weitere Kostenlose Bücher