Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Qual

Qual

Titel: Qual Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Greg Egan
Vom Netzwerk:
wahr? Sie sagen, daß die meisten Menschen die Welt um sich herum überhaupt nicht wahrnehmen. Sie sind Schlafwandler in einer geisttötenden Routine aus profaner Arbeit und verdummender Unterhaltung. Diesen Punkt würde ich jederzeit unterschreiben. Sie wollen, daß jeder Bewohner dieses Planeten auf das Universum, in dem wir leben, ›eingestimmt‹ werden soll, um genauso wie sie Ehrfurcht zu empfinden, wenn sie vor den größten Geheimnissen dieser Welt stehen – den unbegreiflichen Dimensionen kosmologischer Zeitmaßstäbe, der unendlichen Vielfalt der Biosphäre, dem bizarren Paradoxien der Quantenmechanik.
    Nun… all diese Dinge lösen auch bei mir Ehrfurcht aus – zumindest manchmal –, doch die Mystische Renaissance behandelt diese Reaktion als der Weisheit letzter Schluß. Sie wollen, daß die Wissenschaft auf die Erforschung all jener Dinge verzichtet, die ihnen im ursprünglichen, unerklärten Zustand solche Hochgefühle vermittelt. Denn es könnte ja sein, daß die Ehrfurcht verlorengeht, wenn diese Dinge besser verstanden werden. Letztlich sind sie überhaupt nicht am Universum interessiert, wie es wirklich ist, genausowenig wie Menschen, die das Leben von Tieren zu einer verkitschten Idylle romantisieren, in der kein Blut vergossen wird… oder wie Menschen, die die Existenz ökologischer Schäden leugnen, weil sie nichts an ihrer Lebensweise ändern wollen. Die Anhänger der Mystischen Renaissance wollen nur die Wahrheiten hören, die ihnen genehm sind, die bei ihnen die richtigen Gefühle auslösen. Wenn sie ehrlich wären, müßten sie sich einen elektrischen Draht in die Stelle ihres Gehirns stecken, der ihnen das Gefühl gibt, eine konstante mystische Offenbarung zu erleben. Letztlich ist es nur das, woran sie interessiert sind.«
    Diese Äußerungen waren unbezahlbar! Niemand von Mosalas Format hatte je auf diese Weise gegen die Kulte gewettert. Zumindest nicht öffentlich.
    »Demütige Wissenschaft?«
    Mosalas Augen funkelten zornig. »Sie sind bei weitem die Schlimmsten. Die Arrogantesten und Zynischsten. Janet Walsh ist lediglich eine Taktikerin und eine Galionsfigur. Die wahren Anführer sind in der Regel viel gebildeter. Und in ihrer kollektiven Weisheit haben sie beschlossen, daß die zarte Blüte der menschlichen Kultur keine weiteren Offenbarungen über das wahre Wesen des Menschen oder des Universums ertragen kann.
    Wenn sie gegen den Mißbrauch der Biotechnik opponieren würden, hätten sie meine volle Unterstützung. Wenn sie sich gegen die Entwicklung von Waffen aussprechen würden, hätten sie meine Zustimmung. Wenn sie ein in sich schlüssiges System von Werten vertreten würden, das die Entfremdung der Normalbürger von den erbarmungslosesten wissenschaftlichen Wahrheiten mindern würde – ohne diese Wahrheiten zu leugnen –, hätte ich keinerlei Probleme mit ihnen.
    Doch wenn sie verkünden, daß jedes Wissen – jenseitseiner Grenze, die sie selbstherrlich bestimmt haben – ein Greuel für die menschliche Zivilisation und den gesunden Menschenverstand darstellt und daß es die Aufgabe einer selbsternannten kulturellen Elite darstellt, einen Satz von handgefertigten, ›lebensbestätigenden‹ Mythen zu produzieren, die an die Stelle des Wissens treten sollen – um die menschliche Existenz mit einer Bedeutung zu erfüllen, die eine angemessene und vor allem politisch zweckdienliche Erhabenheit aufweist –, dann sind sie nichts als der schlimmste Klüngel von Zensoren und Intriganten.«
    Plötzlich bemerkte ich, daß Mosalas schlanke Arme, die sie auf dem Tisch ausgebreitet hatte, zitterten. Sie war viel wütender, als ich vermutet hatte. »Es ist gleich neun«, sagte ich, »aber wir könnten das Gespräch nach Buzzos Vortrag fortsetzen, wenn Sie Zeit haben?«
    De Groot berührte sie am Ellbogen. Sie steckten die Köpfe zusammen und berieten sich ausführlich, ohne daß ich ein Wort verstand.
    Schließlich sagte Mosala: »Wir haben doch ein Interview für den Mittwoch vorgesehen, nicht wahr? Es tut mir leid, aber vorher kann ich keine Zeit erübrigen.«
    »Natürlich, das geht in Ordnung.«
    »Und was ich gerade gesagt habe, ist natürlich nicht für die Öffentlichkeit bestimmt. Sie werden nichts davon verwenden.«
    Ich brach zusammen. »Das ist nicht Ihr Ernst!«
    »Bei diesem Treffen sollten nur die Einzelheiten unseres Zeitplans abgesprochen werden. Von dem, was ich hier sagte, war nichts für die Öffentlichkeit bestimmt.«
    Ich flehte sie an: »Ich werde alles in den

Weitere Kostenlose Bücher