Qual
wurde. Ich dachte, es wäre meine Pflicht, sie ein für alle Mal – auf wissenschaftliche Weise – zu widerlegen. Also kaufte ich mir ein kleines Statistikprogramm und forderte es auf, die Hypothese zu überprüfen, daß ein bestimmter Anteil – eine bestimmte Quote – der Nobelpreise seit dem Jahr 2010 aus politischen Gründen für die Bürger der afrikanischen Nationen reserviert wurden.« Einen Augenblick lang herrschte verblüfftes Schweigen, dann kam es zu wütenden Zwischenrufen aus dem Publikum. Walsh hielt ihr Notepad hoch und sprach weiter – laut genug, um den Lärm zu übertönen. »Und die Antwort lautete, daß eine Wahrscheinlichkeit von fünfundneunzig Prozent…« Mehrere Mitglieder des Fanclubs sprangen auf und schrien Walsh an, während die beiden Männer links und rechts von mir zischten. Walsh redete unbeirrt weiter, mit einem amüsierten Ausdruck, der zu sagen schien, daß sie gar nicht verstand, worüber sich die Leute so sehr aufregten. »Die Antwort lautete, daß diese Hypothese mit einer Wahrscheinlichkeit von fünfundneunzig Prozent der Wahrheit entspricht.«
Immer mehr Leute sprangen auf, um sie zu beschimpfen. Vier Journalisten stürmten aus dem Saal. Walsh blieb stehen und wartete auf eine Antwort, während sie unschuldig lächelte. Ich sah, wie Marian Fox sich zögernd dem Podium näherte, doch Mosala gab ihr ein Handzeichen, sich zurückzuhalten.
Mosala bediente ihr Notepad. Die Rufe wurden allmählich leiser, bis sich jeder wieder gesetzt hatte – mit Ausnahme von Walsh.
Die folgende Stille konnte kaum länger als zehn Sekunden gedauert haben, aber sie währte lange genug, daß ich bemerkte, wie heftig mein Herz klopfte. Ich verspürte das Bedürfnis, jemanden zu schlagen. Walsh war keine Rassistin, aber sie verstand sich ausgezeichnet auf die Manipulation von Massen. Sie hatte die Leute gepiesackt, und mit zweihundert erbosten Anhängern samt Transparenten im Hintergrund des Saals hätte sie kaum heftigere Leidenschaften erregen können.
Mosala blickte auf und lächelte süß.
»Die wissenschaftliche Renaissance Afrikas wurde in den vergangenen zehn Jahren in über dreißig Studien untersucht. Ich werde Ihnen gerne die Quellenangaben zur Verfügung stellen, falls Sie sie nicht selbst ermitteln können. Darin werden Sie mehrere intelligente Hypothesen finden, die den plötzlichen Anstieg der Anzahl der von afrikanischen Wissenschaftlern in Fachzeitschriften veröffentlichten Artikel erklären, sowie die Zunahme der Zitierung dieser Artikel, der Anzahl der genehmigten Patente – und der Anzahl der Nobelpreise für Physik und Chemie.
Was Ihr eigenes Arbeitsgebiet betrifft, so fürchte ich, daß Sie einen Ausnahmefall darstellen. Ich konnte keine einzige Studie finden, die eine alternative Erklärung für die neunundneunzigprozentige Wahrscheinlichkeit liefert, daß der Booker-Preis seit der Stiftung für eine klar umrissene, intellektuell unterbelichtete Minderheit reserviert ist – für Schreiberlinge, die in der Werbebranche besser aufgehoben wären.«
Schallendes Gelächter hallte durch den Saal. Walsh blieb noch einige Sekunden lang stehen und nahm dann wieder mit bemerkenswerter Würde Platz. Sie wirkte weder verärgert noch beschämt oder verblüfft. Ich fragte mich, ob sie vielleicht nur beabsichtigt hatte, Mosala zu einer Erwiderung auf dem gleichen Niveau zu provozieren. Es stand außer Frage, daß Planet Noise das Gespräch mühelos zu einem Sieg für Walsh ummünzen konnte: WISSENSCHAFTLICHES WUNDERKIND BELEIDIGT ANERKANNTE AUTORIN NACH KONFRONTATION MIT FAKTEN. Doch die meisten Medien würden melden, daß Mosala mit großer Zurückhaltung auf eine gezielte Provokation geantwortet hatte.
Es gab noch ein paar weitere Fragen – die allesamt harmlos und eher fachlich waren – bis das Ende der Konferenz verkündet wurde. Ich ging zum Podium vor, neben dem Karin De Groot bereits auf mich wartete.
De Groot war unmißverständlich I-weiblich – doch ihr Aussehen hatte keineswegs etwas Androgynes, sondern war wesentlich markanter. Während U-Männer und -Frauen die typischen Geschlechtsunterschiede in den Gesichtszügen verstärkten und die Asexuellen sie ausmerzten, hatten die ersten I-Frauen und -Männer das menschliche Gesicht neu modelliert und völlig neue Parameter herausgearbeitet, durch die sie sich auf den ersten Blick von allen anderen unterschieden – ohne daß sie etwa alle gleich aussahen.
Sie schüttelte mir die Hand und führte mich zu einem
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