Qual
Partikel aus Kalkstein? Ich war verwirrt, denn warum fielen sie nicht einfach herunter? Selbst anhand der Momentaufnahmen konnte ich erkennen, daß dieser Schleier in ständiger Bewegung war und rhythmisch gegen den verborgenen Fels brandete. Und ich sah kleine Gasblasen, die von einer Art Unterströmung ein paar Meter weit hervorgeschleudert wurden, bis sie wieder im Dunst verschwanden. Rajendra drehte den Lichtstrahl hierhin und dorthin, während er die Lampe immer besser unter Kontrolle bekam. Offenbar war sie schwierig zu bedienen, und ich spürte seine Frustration, aber nach einigen Minuten zahlte sich seine Hartnäckigkeit aus.
Eine stärkere Wellenbewegung mischte plötzlich klares Wasser in die milchige Schicht, wodurch sich der Vorhang für einen kurzen Moment teilte. Der Lichtkegel und die Kamera hielten das Ereignis fest und enthüllten den rohen Fels, der spärlich mit Rankenfüßern und blassen Anemonen besiedelt war. Das nächste Bild war verschwommen – noch nicht völlig durch den Nebel aus weißen Partikeln verwischt, sondern wie zerknittert, durch die Brechung verzerrt. Zuerst hatten wir den Fels durch reines Wasser gesehen und dann durch Wasser und Luft.
Unter dem Felsen befand sich ständig eine dünne Luftschicht, die durch den austretenden Sauerstoff gespeist wurde.
Diese Luft verschaffte dem Wasser eine Oberfläche, die Wellen tragen konnte. Jede Welle, die sich an den fernen Riffen brach, wurde von einem Zwilling begleitet, der unter die Insel schwappte.
Kein Wunder, daß das Wasser so trübe war. Die Unterseite von Stateless wurde pausenlos von einer riesigen, feuchten und scharfen Feile angekratzt. Die Wellen nagten auch an der Küste, aber kamen nur bis zu einem gewissen Punkt. Diese Erosion setzte sich unter dem trockenen Land fort, bis zum Rand des Guyots.
Ich drehte mich erneut zur Frau neben mir um, die zu Rajendras Bekannten gehörte. »Diese winzigen Kalksteinpartikel müßten doch ihren gesamten Sauerstoff und damit ihre Schwimmfähigkeit verlieren. Warum fallen sie nicht einfach nach unten?«
»Das tun sie. Die weiße Farbe stammt von den biotechnischen Kieselalgen. Sie ernähren sich vom Kalzium im Wasser, mineralisieren ihn und wandern dann nach oben, um sich am Felsen festzusetzen, wenn sie von den Wellen dagegengeworfen werden. Die Korallenpolypen wachsen nicht in der Dunkelheit, also sind die Kieselalgen der einzige Reparaturmechanismus.«
Sie lächelte in geradezu erleuchteter Verzückung. Offenbar war sie bereits unten gewesen, um es mit eigenen Augen zu erleben. »Das ist alles, was die Insel trägt, nur ein feiner Nebel aus Kalzium, der in die Tiefe sinkt, und ein paar Trillionen mikroskopischer Lebewesen, deren Gene ihnen sagen, was sie damit tun sollen.«
Die Winde begann das Kabel wieder einzuholen. Niemand stand in der Nähe, also gab es entweder einen Kontrollknopf für den Taucher, den ich übersehen hatte, oder alles war vorprogrammiert, die Dauer des Tauchgangs genau abgemessen, um das Risiko eines Unfalls durch Dekompression zu verringern. Rajendra hielt sich die Hand vor das Gesicht und winkte uns zu. Die Leute lachten und witzelten, als er mit dem Aufstieg begann. Es herrschte eine völlig andere Stimmung als zu Anfang.
Ich fragte die Frau: »Haben Sie ein Notepad?«
»Im Bus.«
»Möchten Sie die Kommunikationssoftware haben? Sie könnten die Kamera behalten…«
Sie nickte begeistert. »Gute Idee. Danke!« Sie ging los, um ihr Notepad zu holen.
Die Kamera hatte mich lediglich zehn Dollar gekostet, aber die Kopiergebühr für die Software wurde mit zweihundert berechnet. Doch als ich es feststellte, konnte ich kaum mein Angebot wieder zurückziehen. Also genehmigte ich die Transaktion und ließ unsere Geräte über Infrarot kommunizieren, nachdem die Frau zurückgekehrt war. Sie würde für jedes weitere Duplikat bezahlen müssen, aber das Programm durfte kostenlos verschoben und gelöscht werden, wenn es an andere Tauchergruppen weitergegeben wurde.
Als Rajendra wieder auftauchte, stieß er einen Freudenschrei aus. Er hatte sich kaum von der Sicherheitsleine befreit, als er ein Stück fortlief, immer noch die Luftflaschen auf dem Rücken, bis er anhielt und atemlos am Boden zusammenbrach. Ich wußte nicht, ob er übertrieb – er schien mir nicht der Typ dazu –, aber als er die Taucherausrüstung ablegte, grinste er entzückt und zitternd wie ein verliebter Idiot.
Adrenalin, sicherlich, aber er war nicht nur wegen des Nervenkitzels getaucht.
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