Qual
als sie an Kohlendioxid aufnahmen, womit sie den Gasdruck zusätzlich verstärkten.
All das erforderte Energie und Rohstoffe, und da die Lithophilen in absoluter Finsternis lebten, mußten sie gefüttert werden. Die konsumierten Nährstoffe und die ausgeschiedenen Produkte waren Teil eines Zyklus, der sich bis zu den Riffen und darüber hinaus erstreckte. Letztlich lieferte das Sonnenlicht auf fernem Wasser die Energie, die sie benötigten.
Schon bald schäumte und brodelte die Felsoberfläche, und kalkige Tröpfchen spritzten auf die Kamera. Und nun wurde mir endlich bewußt, daß ich mich grundlegend getäuscht hatte. Dieser Tauchgang hatte nichts mit edenitischen Vorstellungen über ›modernes Stammesleben‹ zu tun. Wieviel Mut jemand dazu aufbringen mußte, war im Grunde unwesentlich. Es ging vielmehr darum, durch die greifbaren Ausdünstungen des Felsens hinabzusteigen und mit eigenen Augen zu sehen, was Stateless darstellte – um die verborgene Maschinerie zu verstehen, die die Insel am Leben erhielt.
Rajendras Hand erschien am Rand des Bildes, als er das Mundstück anlegte und die Luftversorgung einschaltete. Er blickte einmal nach unten, auf ein dunkles, schwefliges Gebräu, das einer vulkanischen Quelle zu entsteigen schien. In Wirklichkeit war die Flüssigkeit vermutlich kühl und nahezu geruchlos. In einem Punkt hatte Munroe recht: Man mußte es selbst erlebt haben. Außerdem war der Schachtwind in dieser Tiefe bestimmt schwächer als an der Oberfläche, weil der größte Teil des Felsens, der zur Ausdünstung beitrug, jetzt über ihm war. Rajendra hatte ohne Zweifel den Unterschied bemerkt – doch der Anblick des Gases, das unter immer höherem Druck entwich, ließ eher das genaue Gegenteil vermuten.
Als die Kamera unter die Wasseroberfläche tauchte, flackerte das Bild und schaltete sich dann auf geringere Auflösung um. Trotz des aufgewühlten, trüben Wassers konnte ich immer noch gelegentlich die Schachtwand oder zumindest die Blasen erkennen, die aus dem Fels strömten. Es war ein unheimlicher, verwirrender Anblick – es sah fast aus, als wäre das Wasser eine so starke Säure, daß man zusehen konnte, wie sie den Kalkstein auflöste. Doch auch dieser Eindruck hätte sich wohl sofort verflüchtigt, wenn ich persönlich dort unten gewesen und in der Suppe herumgeschwommen wäre.
Die Auflösung wurde noch schwächer, und dann verringerte sich die Bildfrequenz. Es wurden nur noch Standaufnahmen in schneller Folge übermittelt, während die Kamera sich bemühte, den Kontakt zu halten. Der Ton kam verhältnismäßig deutlich durch, obwohl ich eine Verzerrung im Lärm der Blasen, die an der Tauchermaske vorbeirauschten, vermutlich gar nicht bemerkt hätte. Als Rajendra nach unten blickte, waren Tausende von Sauerstoffperlen zu sehen, die durch schimmerndes Wasser aufstiegen. Der Blick reichte jedoch nur bis zu seinen Knien. Ich glaubte, ihn plötzlich heftig einatmen zu hören, während er sich auf den Bodenkontakt gefaßt machte – und dann hätte ich ihm beinahe das Notepad auf den Kopf fallen lassen.
Eine Standaufnahme zeigte einen verblüfften hellroten Fisch, der genau in die Kameraoptik starrte. Auf dem nächsten Bild war er schon wieder verschwunden.
Ich wandte mich an die Frau, die neben mir stand. »Haben Sie das gesehen…?« Sie hatte – aber sie schien nicht im geringsten überrascht. Ich bekam eine Gänsehaut. Wie dick war der Fels, auf dem wir standen? Wie lang war das Kabel?
Als Rajendra auf der Unterseite der Insel hervorkam, gab er einen Laut von sich, der alles Mögliche von überschwenglicher Begeisterung bis Entsetzen hätte ausdrücken können. Mit dem Plastikrohr im Mund und all den anderen akustischen Komplikationen konnte ich nicht mehr als ein dumpfes, ersticktes Geräusch ausmachen. Als er tiefer in den unterirdischen Ozean hinabtauchte, wurde das Wasser um ihn herum allmählich wieder klarer. Ich sah einen ganzen Schwarm aus winzigen, blassen Fischen, der in der Ferne vom Lichtkegel der Lampe gestreift wurde, gefolgt von einem grauen Mantarochen, der mindesten einen Meter breit war und das Maul zu einem permanenten Grinsen geöffnet hatte, während er sich das Plankton einverleibte. Ich blickte erschüttert vom Bildschirm auf. Das konnte unmöglich direkt unter meinen Füßen geschehen!
Die Winde hielt an. Rajendra blickte nach oben, zurück zu Stateless und drehte die bewegliche Lampe hin und her.
Eine Schicht aus milchigem Wasser hing an der Unterseite. Winzige
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