Qual
Tiefbauingenieur aus Fidschi, und er war erst seit einer knappen Woche auf Stateless. Ich nahm eine Knopfkamera aus meiner Brieftasche und erklärte ihm, was ich wollte. Er blickte sich zu den Leuten um, die sich rund um den Schacht versammelt hatten – als würde er überlegen, ob er jemanden um Erlaubnis fragen müßte –, doch dann erklärte er sich damit einverstanden, sie mit nach unten zu nehmen. Als ich die Kamera wie ein drittes Stirnauge an der Tauchermaske befestigte, bemerkte ich eine dünne Kalkschicht auf der durchsichtigen Plastikscheibe vor dem Gesicht.
Eine ältere Frau in Taucherkleidung kam vorbei, um zu überprüfen, ob Rajendra die Ausrüstung korrekt angelegt hatte. Dann machte sie ihn mit den Sicherheitsmaßnahmen für einen Notfall vertraut. Er hörte ihr aufmerksam zu. Ich wich ein Stück zurück und prüfte, ob das Signal der Kamera von meinem Notepad empfangen wurde. Die Kamera sendete auf Ultraschall, Radiowellen und Infrarot – und falls alle diese Signale nicht mehr durchkommen sollten, hatte sie immer noch einen Speicher mit einem Aufzeichnungsvolumen von vierzig Minuten.
Munroe trat verärgert an mich heran. »Sie sind verrückt, wissen Sie das? Es wird nicht dasselbe sein. Warum wollen Sie den Tauchgang eines anderen aufzeichnen, wenn Sie selbst hinuntergehen könnten?«
Offenbar war ich vom Schicksal verdammt. Sogar auf Stateless hatte ich jemanden gefunden, der mich aufforderte, die Klappe zu halten und zu tun, was man mir sagte. »Vielleicht werde ich es tun«, erwiderte ich. »Aber auf diese Weise sehe ich genau, worauf ich mich einlasse. Und schließlich bin ich doch nur ein Tourist. Also wäre mein Erlebnis einer Zeremonie für Neuankömmlinge ohnehin kaum authentisch.«
Munroe verdrehte die Augen. »Authentisch? Sie sollten sich entscheiden, ob Sie über die Einsteinkonferenz berichten oder eine Reportage mit Titel Stateless wird erwachsen machen wollen.«
»Das wird sich zeigen. Wenn ich am Ende zwei Sendungen zum Preis von einer fertiggestellt habe… um so besser.«
Rajendra ging zum Schacht, hielt sich am Kabel fest und stieg auf die Plattform. Sie kippte zur Seite, bis er es geschafft hatte, sein Gewicht in die Mitte zu verlagern. Der Luftstrom blies seine Shorts auf und ließ ihm buchstäblich die Haare zu Berge stehen, doch der Anblick wirkte eher schwindelerregend als komisch. Er sah wie ein Fallschirmspringer ohne Fallschirm aus – oder wie ein Verrückter, der auf dem Flügel eines Flugzeugs balancierte. Schließlich befestigte er die Sicherheitsleine, aber er machte immer noch den Eindruck, als würde er sich im freien Fall befinden.
Ich war überrascht, daß Munroe sich so sehr für eine Zeremonie begeistern konnte, die für mich eher wie ein Initiationsritus, eine gemeinschaftsfördernde Mutprobe wirkte. Selbst wenn überhaupt kein Zwang dahinterstand, selbst wenn die Gefahren minimal waren – irgendwie paßte es nicht zu dieser Insel voller radikaler Nonkonformisten.
Jemand setzte die Winde in Bewegung. Rajendras Freunde traten an die Einfassung des Schachts und knieten sich nieder, um ihm noch einmal auf die Schulter zu klopfen, während er versank. Sie jubelten ihm zu, und er grinste nervös, bis er im Loch verschwand. Ich drängte mich vor und beugte mich mit dem Notepad über den Schacht, um eine direkte Verbindung halten zu können. Der Speicher der Kamera war vermutlich mehr als ausreichend, aber ich konnte dem Drang nicht widerstehen, alles in Echtzeit zu verfolgen. Und ich war nicht der einzige, denn mehrere Leute scharten sich um mich, um den Bildschirm beobachten zu können.
Aus der Menge rief Munroe mir zu: »Soviel zum Thema Authentizität. Ist Ihnen klar, daß Sie diese Erfahrung für jeden verändern?«
»Nicht für den Taucher.«
»Ach so, das ist das einzige, das eine Rolle spielt. Noch einen letzten Blick auf die wahren Dinge erhaschen – bevor sie für immer zerstört werden. Sie Ethno-Vandale!« Er fügte halb im Scherz hinzu: »Trotzdem irren Sie sich. Auch für den Taucher verändert sich alles.«
Der Schacht hatte etwa zwei Meter Durchmesser. Die Oberfläche der zylindrischen Wände war genauso eben wie überall – zu glatt, um durch einen geologischen. Prozeß entstanden sein zu können, und zu rauh, um von Maschinen zu stammen. Die Morphogenese von Stateless war ein sehr komplizierter Prozeß, mit dem ich mich noch nie im Detail auseinandergesetzt hatte, aber ich wußte, daß an vielen Punkten menschliches Eingreifen
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