Qual
Schalldämpfung der Fenster ein und versuchte mich in die richtige Stimmung für ein wenig Arbeit zu bringen. Am folgenden Morgen stand für mich ein Vortrag von Helen Wu auf dem Programm, der Hauptvertreterin der Ansicht, daß Mosalas Methodik auf Zirkelschlüssen basierte. Bevor Munroe mich dazu überredet hatte, die Inseltaucher zu filmen, hatte ich eigentlich beabsichtigt, den gesamten Nachmittag mit der Lektüre von Wus bisherigen Veröffentlichungen zu verbringen. Ich hatte noch sehr viel nachzuholen.
Zuerst jedoch…
Ich durchforstete die relevanten Datenbanken (und verzichtete auf die Hilfe von Sisyphus, wodurch es dreimal so lange dauerte). Die Pan-Afrikanische Kulturelle Verteidigungsfront war ein lockerer Zusammenschluß von siebenundfünfzig radikalen traditionalistischen Gruppen aus dreiundzwanzig Nationen. Ein Delegiertenrat traf sich einmal im Jahr, um Strategien zu planen und Verlautbarungen herauszugeben. Die eigentliche PAKVF existierte erst seit zwanzig Jahren. Sie war im Kielwasser der wiederbelebten Traditionalismus-Debatte in den frühen Dreißigern entstanden, als zahlreiche Akademiker und Aktivisten hauptsächlich in Zentralafrika über die Notwendigkeit einer ›Wiederherstellung der Kontinuität‹ zur vorkolonialen Vergangenheit diskutiert hatten. Die politischen und kulturellen Bewegungen des vergangenen Jahrhunderts – von Senghors Négritude über Mobutus ›Authentizität‹ bis zum ›Schwarzen Bewußtsein‹ in all seinen Ausprägungen – wurden verworfen, weil sie zu korrupt und assimilationistisch waren oder zu sehr dem Kolonialismus und der Verwestlichung verhaftet waren. Die korrekte Reaktion auf den Kolonialismus bestand nach Ansicht der lautstärksten Vertreter der neuen Traditionalisten darin, diese Phase komplett aus der Geschichte zu löschen. Anschließend sollte man sich so verhalten, als hätte es sie nie gegeben.
Die PAKVF stand für die extremste Ausprägung dieser Philosophie, und ihre kompromißlose Richtung war keineswegs populistisch. Sie verurteilten den Islam als Invasionsreligion, genauso wie das Christentum und den Synkretismus. Sie lehnten Schutzimpfungen, biotechnische Nutzpflanzen und elektronische Kommunikation ab. Und falls hinter der Gruppe mehr steckte als nur ein Katalog der fremden (oder einheimischen, aber ungenügend alten) Einflüsse, die sie ausdrücklich verteufelten, dürfte es für sie schwierig gewesen sein, sich ohne eine solche negative Hitliste zu definieren. Viele ihrer Forderungen – die Wiederbelebung lokaler Sprachen, die größere Unterstützung traditioneller Kulturformen – standen bereits ganz oben auf der Tagesordnung der meisten Regierungen oder wurden intensiv von anderen Interessengruppen gefördert. Der einzige Daseinsgrund für die PAKVF schien darin zu bestehen, einen radikaleren Purismus als alle anderen zu vertreten. Als die bis dahin wirksamste Schutzimpfung gegen Malaria in Nairobi entwickelt wurde – auf der Grundlage von Forschungen, die von der bekannten imperialistischen Supermacht Kolumbien durchgeführt worden waren – erschien mir die Verurteilung dieser Therapie als >krimineller Akt gegen die traditionellen Heilpraktiken<, wie eine engstirnige fundamentalistische Perversion.
Falls Violet Mosala beabsichtigte, nach Stateless auszuwandern, hätte man meinen sollen, daß sie froh wären, die Frau endlich loszuwerden. Auf dem halben Kontinent mochte sie als Heldin gelten, doch für die PAKVF konnte sie niemals mehr als eine Verräterin sein. Außerdem konnte ich keine Meldung über eine Morddrohung finden, so daß Savimbis Behauptung möglicherweise reine Übertreibung war. In Wirklichkeit hatte sich vielleicht nicht mehr ereignet als ein anonymer Anruf an seinem Redaktionsschreibtisch.
Nichtsdestoweniger wühlte ich weiter. Vielleicht hatte sich Kuwales Geheimbund durch gegensätzliche Äußerungen offenbart. Es gab jede Menge Stimmen, die gegen die PAKVF opponierten – von gemäßigteren Traditionalisten über zahllose offizielle Stellen und pluralistische Gruppen bis zu selbsternannten technolibérateurs.
Abgesehen von den unpassenden Initialen konnte ich mir kaum vorstellen, daß Mitglieder der Afrikanischen Vereinigung für die Förderung der Wissenschaften (AUAS) sich auf Flughäfen an die Fersen von Journalisten hefteten und sie baten, den inoffiziellen Leibwächter für eine weltberühmte Physikerin zu spielen. Und da die Afrikanische Pluralistische Liga weltweit Studentenaustauschprogramme, Theater-
Weitere Kostenlose Bücher