Quantum
und verhärmt, und ihre Sommersprossen zeichnen sich deutlich ab.
»Was ist los?«, fragt Gilbertine.
»Paul. Er ist verschwunden.«
»Was?«
»Er ist verschwunden. Ich weiß nicht, wo er ist. Ich weiß nicht, was
ich tun soll.«
Gilbertine umarmt ihre Freundin. Sie spürt, wie sie zornig wird.
»Ruhig. Keine Sorge. Alles wird gut.«
»Wirklich?« Raymondes Schultern zucken. »Wie kann es gut werden?«
Weil ich ihn finden werde, und dann wird er dafür
bezahlen , denkt Gilbertine.
Ihre Gevulot-Kontrakte sind immer perfekt, sogar die alten. Und sie
enthalten immer eine Notfallklausel.
Zu ihrer Genugtuung gelingt es ihr tatsächlich, ihn zu überrumpeln.
Er sitzt in dem seltsamen Robotergarten im Labyrinth auf einer kleinen
Reisetasche und lächelt ins Leere. Er trägt einen schicken dunkelblauen
Ganzkörperanzug im Zoku-Stil, nicht ganz Materie, nicht ganz Licht. In den
Händen hält er ein Kästchen, das er unentwegt hin und her dreht.
Als sie sich zu erkennen gibt, erschrickt er im ersten Moment wie
ein kleiner Junge, doch dann lächelt er.
»Da bist du ja«, sagt Paul. Aber er sieht nicht aus wie der Paul, an
den sich Gilbertine erinnert, der manchmal törichte, egozentrische Architekt,
der so hoffnungslos in ihre Freundin verliebt war. Seine Augen sind klar und
ohne Gefühl, und das Lächeln, das seine Lippen umspielt, ist kalt. »Kannst du
mir deinen Namen sagen?«
»Weißt du ihn nicht mehr?«
Er breitet die Arme aus. »Ich habe mich gezwungen, ihn zu
vergessen«, antwortet er.
Gilbertine holt tief Luft. »Ich bin Gilbertine Shalbatana. Du bist
Paul Sernine. Du hast meine Freundin Raymonde geliebt. Jetzt leidet sie. Du
musst zu ihr zurückkehren. Oder zumindest den Mut aufbringen, dich zu
verabschieden. Sie hat dir schon einmal verziehen.«
Sie öffnet ihr Gevulot und schleudert ihm die Erinnerung zu.
Raymonde hat sie miteinander bekannt gemacht. Raymonde, Gilbertines
Waffengefährtin, seit sie von Nanedi hierherkam; ein Mädchen aus der Slowtown,
das in der großen Stadt Musik machen wollte. Insgeheim hatte Gilbertine sie für
ihren Liebreiz und ihre Unbefangenheit gehasst. Alles schien sich mühelos für
sie zu fügen. Auch er gehörte dazu. Deshalb war sie natürlich hinter ihm her.
Und es war nicht weiter schwierig, ihn mit Dingen zu locken, die er nicht
hatte.
Aber es war nicht von Dauer. Er kehrte zu Raymonde zurück, verfolgte
sie bis nach Nanedi und wieder retour, war bereit zu vergessen, wer Gilbertine
war. Gilbertine fand sich damit ab. Aber damit, damit wird sie sich nicht
abfinden.
Paul sieht sie unbeteiligt an. »Danke«, sagte er. »Bisher hatte ich
noch nicht genug von dir.« Und sie spürt entsetzt, wie sich etwas durch ihr Gevulot frisst.
»Aber du hast ganz recht«, sagt Paul ruhig. »Paul Sernine konnte
niemals fortgehen. Du siehst ja, er ist noch hier, in dir und den anderen. Ich
dagegen – ich muss anderswo sein. Ich muss das Feuer der Götter stehlen. Den
Prometheus spielen. Etwas in der Art.«
»Das ist mir egal«, sagt Gilbertine. »Du hast mit diesem Mädchen ein
Kind.«
Er zuckt zusammen. » Daran hätte ich mich
erinnert«, sagt er. »Nein, das kann nicht richtig sein.«
»Du hast verdammt recht, es ist nicht richtig.« Gilbertine legt so
viel Gift in ihre Stimme, wie die alte Kränkung nur hergibt.
»Du verstehst mich nicht. So etwas hätte ich niemals vergessen.« Er
schüttelt den Kopf. »Wie auch immer, es spielt keine Rolle. Wir sind nicht
hier, um über mich zu sprechen. Es geht nur um dich.«
Gilbertine nimmt die Schultern zurück und greift auf den Exospeicher
zu. »Du bist wahnsinnig.« Ein Kribbeln kriecht über ihre Kopfhaut, und auf
einmal ist da, wo der Teil von ihr sein sollte, der mit allem anderen verbunden
ist, nur noch eine Wand. Es ist, als wollte eine Phantomgliedmaße sie davon
überzeugen, dass sie noch da sei, nur tut sie das in ihrem Bewusstsein.
Paul steht auf. »Ich habe dich leider vom Exospeicher getrennt. Aber
keine Angst, die Verbindung kommt gleich wieder.«
Gilbertine tritt einen Schritt zurück. »Was bist du?«, zischt sie.
»Ein Vampir?«
»Aber nicht doch«, sagt Paul. »Und jetzt halt still. Es wird ein
bisschen wehtun.«
Gilbertine rennt los. Mit dem Loch im Kopf fällt ihr das Denken
schwer. Die UHR . Was immer er tut, es muss durch die UHR gehen. Sie zerrt an ihrem
Handgelenk, um sie abzureißen …
… aber sie rennt gar nicht wirklich, es ist nur eine Erinnerung , tatsächlich steht sie immer noch vor Paul,
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