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Quantum

Quantum

Titel: Quantum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hannu Rajaniemi
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Leben von halb vergessenen
Fremden. Was kümmert es mich?
    »Als du ihn mir gegeben hast, hast du mir etwas ans Herz gelegt.
›Sag mir, ich soll Isaac besuchen.‹ Das habe ich hiermit getan.«
    »Danke.« Ich stehe auf. »Genau das werde ich jetzt tun.«
    »Gut. Und ich werde mit der Stille und den anderen reden. Lass mich
wissen, wie du dich entscheidest, wenn du so weit bist. Wenn du ihn noch haben
willst, brauchst du nur zu fragen.«
    »Wenn du so weit bist, musst du deine Oper womöglich umschreiben«,
sage ich.
    Sie küsst mich auf die Wange. »Bis bald.«
    Isaac lebt allein in einer kleinen Turmwohnung im Labyrinth. Ich
kündige ihm mit einer anonymen Mit-Erinnerung einen Besucher an und bekomme zur
Antwort, er sei zu Hause. Als er die Tür aufmacht, runzelt er die Stirn, doch
als ich mein Gevulot öffne, hellt sein bärtiges Gesicht sich auf.
    »Paul!« Er umarmt mich so fest, als wollte er mir die Rippen
brechen. Dann packt er mich am Kragenaufschlag und schüttelt mich hin und her.
»Wo warst du denn bloß?«, poltert er. Ich spüre das Grollen in seiner breiten
Brust.
    Er zerrt mich gewaltsam in die Wohnung und wirft mich wie eine Ratte
auf eine Couch. »Was zur Hölle treibst du hier? Ich dachte, du wärst im
Schweigen, oder der verdammte Sobornost hätte dich gefressen!«
    Er rollt schnaufend die Ärmel seines Flanellhemds auf. Dicke,
haarige Arme kommen zum Vorschein. Um sein breites Handgelenk liegt eine dicke
Messing- UHR . Bei ihrem Anblick zucke ich
zusammen, obwohl ich nicht sehen kann, was für ein Wort darauf eingraviert ist.
    »Wenn du nur hier bist, um wieder mit Raymonde rumzumachen …«, droht
er.
    Ich hebe beide Hände. »Ich bin unschuldig. Ich bin … geschäftlich
hier. Aber ich wollte dich sehen.«
    »Hrrhm«, knurrt er und sieht mich unter seinen dichten Augenbrauen
hervor argwöhnisch an. Dann breitet sich langsam ein Grinsen über sein Gesicht.
»Na schön. Ich besorge uns was zu trinken.«
    Er marschiert quer durch den Raum, stößt mit den Füßen etwas von dem
Gerümpel auf dem Boden beiseite – Bücher, Kleidungsstücke, Tempmaterie-Seiten,
Notizblöcke – und verschwindet in seiner kleinen Küche. Der Fabber beginnt zu
gluckern. Ich sehe mich in der Wohnung um. Eine Gitarre an der Wand, animierte
Tapeten mit Zeichentrickfiguren für Kinder, hohe Bücherregale, ein
Schreibtisch, der unter einer geschlossenen Schneedecke aus E-Papier liegt.
    »Hier hat sich überhaupt nichts verändert«, stelle ich fest.
    Isaac kommt mit einer Tempmaterie-Flasche Wodka zurück. »Soll das
ein Witz sein? Das waren doch erst zwanzig Jahre! Frühjahrsputz gibt’s nur alle vierzig.« Er nimmt einen Schluck aus der Flasche,
dann schenkt er uns zwei Fingerbreit ein. »Ich habe in der ganzen Zeit nur zweimal
geheiratet.« Er hebt sein Glas. »Auf die Frauen! Erzähl mir nichts von
Geschäften. Es sind Frauen, die dich hierher geführt haben.«
    Anstelle einer Antwort stoße ich mit meinem Glas gegen das seine.
Wir trinken beide. Ich muss husten. Er stößt sein heiseres, dröhnendes
Gelächter aus.
    »Muss ich dir nun eine reinhauen, oder hat Raymonde das bereits
erledigt?«, fragt er.
    »Seit einigen Tagen stehen die Kandidaten dafür schon Schlange.«
    »Geschieht dir recht.« Er gießt in einem großzügigen Wasserfall, der
den Fußboden nicht schont, neuen Wodka in die Gläser. »Jedenfalls hätte ich
wissen müssen, dass du auf dem Weg bist, als die Träume wieder anfingen.«
    »Die Träume?«
    »Der gestiefelte Kater. Schlösser. Wir hatten sie alle, als du in
die Gesellschaft eingetreten bist. Ich hatte immer den Verdacht, dass sie mit
dir zusammenhingen.« Er verschränkt die Arme. »Aber das spielt keine Rolle.
Bist du zurückgekommen, um wahres Glück bei deiner wahren Liebe zu finden?«
    »Nein.«
    »Das ist gut so, denn dafür ist es zu spät .
Du Idiot. Ich muss gestehen, ich habe es kommen sehen. Du warst schon immer ein
rastloser Geist. Nie zufrieden, nicht einmal mit Raymonde.« Er schielt zu mir
herüber. »Du willst mir nicht sagen, wohin du verschwunden bist, nicht wahr?«
    »Nein.«
    »Macht nichts. Ich freue mich trotzdem, dich zu sehen. Ohne dich war
es langweilig.« Wieder stoßen wir an.
    »Isaac…«
    »Willst du jetzt rührselig werden?«
    »Nein.« Ich muss lachen. Es ist, als wäre ich nie weg gewesen. Ich
kann mir vorstellen, wie dieser Nachmittag in einem Wodkastrom verrauscht, wie
wir hier sitzen und reden, bis Isaac anfängt, seine Gedichte vorzulesen,

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