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Quantum

Quantum

Titel: Quantum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hannu Rajaniemi
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mein Problem«, sagt Raymonde. »Ich meinte … es geht
um ihn. Paul.« Sie schließt die Augen. »Ich werde nicht schlau aus ihm. Ich
weiß nicht, ob er bereit ist.«
    »Gehen wir ein Stück.« Bathilde schlägt den Weg um die Halle herum
zu den Phoboi-Wällen ein. Über ihnen wird der Himmel allmählich dunkel.
    »Dazu kann ich dir nur eines sagen«, beginnt Bathilde. »Wenn ich mit
Paul spreche, erinnert er mich an jemanden, den ich vor langer Zeit kannte und
der mir ein wenig das Herz gebrochen hat.« Sie lacht. »Ich habe es ihm
natürlich mit gleicher Münze heimgezahlt.« Sie berührt die Wand der Halle, die
bereits zu bröckeln beginnt. »Unter uns gibt es einige, die wirklich sehr lange
leben«, sagt sie. »Und die lernen mit der Zeit, sich nicht zu ändern, was auch
geschieht. Neue Körper, Gogols, Transformationen, doch etwas an uns bleibt
immer gleich. Das hat etwas mit Evolution zu tun; sonst würden wir im Grunde
durch die ewigen Metamorphosen sterben, wir sähen nie das Licht am Ende eines
Tunnels, nur die Zeit würde immer weiter an uns nagen.
    Was immer Paul dir erzählt hat, er ist einer von uns, so viel weiß
ich. Du musst also entscheiden, ob sein wirkliches Ich – nicht dieser freundliche Architekt – der Mann ist, den du zum Vater
deiner Kinder machen willst.
    Aber er gibt sich Mühe, und er tut es um deinetwillen.«
    »Da seid ihr ja«, sagt Paul. »Meine zwei Lieblingsfrauen.« Er küsst Raymonde.
»Bist du schon hineingegangen?«
    Raymonde schüttelt den Kopf.
    »Du solltest es tun«, rät Bathilde. »Es ist nicht so schlimm, wie
man anfangs denkt. Viel Spaß.«
    Die beiden betreten die Halle von der anderen Seite. Bathilde sieht
ihnen nach und denkt an jenen Tag im Olympus-Palast zurück, eine Erinnerung wie
ein Aquarell: der Tanz mit dem König. Sie überlegt, ob ihre Augen damals so
ausgesehen haben wie die von Raymonde.

11   Der Dieb und die Zaddikkim
    Die Zaddikkim sind nicht so, wie ich erwartet habe. Ich
stellte mir ein Geheimversteck vor, mit Trophäen vergangener Siege vielleicht;
einen Ratssal mit einem runden Tisch und hohen Stühlen, von denen jeder mit dem
Ikonogramm eines bestimmten Zaddik geschmückt ist.
    Stattdessen treffen wir uns in der Küche der Stille.
    Der Futurist spielt mit ihrem Glas und rollt seinen Fuß ungeduldig
auf dem Holztisch hin und her. Sie ist rot und glatt, eine Kreuzung zwischen
einem Menschen und einem antiken Automobil, und kann keinen Moment still
sitzen.
    »Schön«, sagt sie. »Könnte mir bitte jemand erklären, warum wir hier
sind?«
    Die Stille wohnt in einem kleinen Zeppelinhaus in Montgolfiersville:
einer Gondel unter einem tränenförmigen Gassack, der seinerseits an der Stadt
hängt. Seine Küche ist klein, aber mit allen technischen Schikanen
ausgestattet. Neben dem Fabber findet sich hier auch herkömmliches Kochgerät,
Messer, Töpfe und Pfannen und andere Instrumente aus Chrom und Metall, die ich
nicht kenne: Die Stille schätzt gutes Essen, das ist nicht zu übersehen. Mit
uns beiden und den sechs Zaddikkim im Raum geht es ziemlich eng her; ich bin
zwischen Mieli und einem hochgewachsenen Mann in Schwarz mit einem Gesicht wie
ein Totenschädel eingezwängt – dem Bischof. Sein knochiges Knie drückt gegen
meinen Schenkel.
    Unser Gastgeber öffnet mit einer geschickten Drehung aus dem
Handgelenk eine Flasche Wein. Wie der Gentleman trägt er eine Maske ohne
Gesicht, aber die seine ist dunkelblau, und sein Umhang aus Nanonebel lässt ihn
wie einen lebenden Tintenfleck aussehen. Er ist sehr groß, und obwohl er bisher
nichts gesagt hat, umgibt ihn eine gewisse Würde. Er füllt rasch und mit
sparsamen Bewegungen unsere Gläser, dann nickt er Raymonde zu.
    »Danke, dass ihr gekommen seid«, sagt sie mit der Reibeisenstimme
ihrer Zaddik-Persönlichkeit. »Ich habe zwei Besucher von außerhalb mitgebracht,
mit denen ich vorgestern Abend eine kleine … Auseinandersetzung hatte. Ich habe
Grund zu der Annahme, dass sie unserer Sache wohlwollend gegenüberstehen.
Vielleicht kannst du selbst eine Erklärung abgeben, Jean.«
    »Danke«, sage ich. Mieli war bereit, das Reden mir zu überlassen,
unter der Voraussetzung, dass ich, wenn die Sache den Bach runtergeht,
gnadenlos abgeschaltet werde. »Mein Name ist Jean le Flambeur«, sage ich. »Wenn
Sie wollen, können Sie das gerne blinkern.« Ich lege eine kleine Pause ein, um
die Wirkung zu steigern, aber ein Publikum, das Masken trägt, ist schwer
einzuschätzen.
    »Ich war in einem früheren

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