Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Quarantäne

Quarantäne

Titel: Quarantäne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Greg Egan
Vom Netzwerk:
Zeitlang bleibe ich regungslos liegen, ich fühle mich benommen. Ich weiß nicht so recht; was mit mir los ist. Als ich versuche, auf die Füße zu kommen, muß ich feststellen, daß mein Zustand weit bedenklicher ist, als ich angenommen habe. Ich sitze auf der Bettkante, den Kopf auf die Knie gestützt, und warte. Warte, daß der Nebel in meinem Kopf sich legt.
    Das Erschrecken überkommt mich wie ein heißer, alles erstickender Wind. Ich wäre gestorben, wie man es von einem braven kleinen Roboter erwartete. Das ist das Schlimmste daran: daß man völlig gelassen hinnimmt, wie auch der letzte Hoffnungsschimmer entschwindet. Man schaut einfach zu, wie man Schritt für Schritt um eine weitere Hoffnung ärmer wird, bis zum Ende. Ich hätte mein eigenes Grab geschaufelt, wenn sie das verlangt hätten.
    Aber das haben sie nicht. Warum lebe ich überhaupt noch? Warum die Betäubungsspritze? Falls sie mein Gedächtnis präpariert haben, dann ist ihnen das perfekt gelungen. Perfekt heißt, daß ich keine Spur eines Eingriffs wahrnehmen kann – eigentlich unwahrscheinlich, wenn sie sich nicht mehr als einen Tag Zeit dafür genommen haben. (Aber vielleicht haben sie ein ganzes Jahr daran gearbeitet, und alles, was mich vom Gegenteil überzeugen möchte, ist Fiktion?)
    Ich blicke auf, als die Tür sich öffnet. Der Mann, der mir die Spritze gegeben hat, kommt herein. Er trägt eine Pistole, doch steckt sie im Holster, als wüßte er genau, wie ungefährlich ich jetzt bin. Vielleicht haben sie meine Einsatzmodule zerstört. Ich rufe E3 auf, es existiert noch. Doch ich verzichte darauf, es zu aktivieren.
    Er wirft mir etwas zu. Ich versuche nicht einmal, es aufzufangen. Es landet vor meinen Füßen. Ein Magnetschlüssel.
    »Der ist für die Wohnungstür«, sagt er. Ich starre ihn an. Die Situation scheint ihm peinlich zu sein. Was immer für Module sein Verhalten steuern, heute sind sie offensichtlich alle abgeschaltet. Er nimmt den Stuhl in der Ecke und stellt ihn neben das Bett. Er setzt sich so, daß er mich anschauen kann.
    »Beruhigen Sie sich erst mal, ja?… Mein Name ist Huang Qing. Ich habe Ihnen etwas zu sagen.«
    »Was?« Ich glaube beinahe, daß ich die Antwort weiß. Und ich überlege, ob ich E3 aktivieren soll – um den Schlag verkraften zu können, um den Schock zu vermeiden –, aber dann frage ich mich, ob ich mir vielleicht ganz unnötig Sorgen mache.
    Vorsichtig fährt er fort: »Man hat sie engagiert. Sie arbeiten jetzt für die INITIATIVE.«
    Die INITIATIVE. Das Wort hallt in meinem Kopf.Und jedes Echo scheint ein Signal auszulösen, einen Schalter zu betätigen. Für einen Augenblick glaube ich die blitzblank funkelnde neue Maschinerie zu sehen: Deutlich hebt sie sich von allem übrigen ab, eindrucksvoll, von wunderbarer Logik. Aber das mochte eine bewußte Täuschung sein oder gar eine unbeabsichtigte Nebenwirkung, eine kleine, vorübergehende Fehlfunktion. Wie dem auch sei, dieser Augenblick der (vermeintlichen?) Erleuchtung ist nur kurz. Und von nun an kann ich über dieses Wunderwerk und seine Funktion nicht mehr sagen als über irgendwelche anderen Nervenzellen, die meine Eingeweide steuern oder mein Herz schlagen lassen.
    »Alles in Ordnung?«
    »Alles in Ordnung.« Und es ist wahr. Da ist ein gewisses Entsetzen, weit weg, sehr abstrakt, und eine gewisse Empörung, eher aus Pflichtbewußtsein. Doch die bloße Erleichterung darüber, daß mein Schicksal nicht länger ungewiß ist und ich nun weiß, wofür ich lebe, wiegt das bei weitem auf.
    Das also haben sie gemeint. Sich erkenntlich zeigen. Ich lebe. Mein Gedächtnis ist intakt. Nichts, was man mir genommen hätte. Im Gegenteil, ich habe etwas dazubekommen.
    Ich habe keine Ahnung, was das sein soll, die INITIATIVE – außer, daß es die wichtigste Sache in meinem Leben ist.

 
     
     
ZWEITER TEIL

 
5
     
    Als Huang gegangen ist, gehe ich einige Minuten lang in meiner Wohnung auf und ab. Im Kopf mache ich mir eine Liste der Dinge, die ich besorgen muß. Die Kleider, die ich bei meinem Einbruch ins BDI-Gebäude getragen habe, sind vernichtet; das einzige, was man mir zurückgegeben hat, ist meine Brieftasche. Sogar unversehrt. Dann fällt mir ein, daß ich noch einen Koffer mit Kleidung im Hotel >Renaissance< habe – und die Hotelrechnung inzwischen munter in die Höhe klettert. Ich stecke den Wohnungsschlüssel ein und steige die Treppe hinunter. Ich finde ein Straßenschild und weiß nun wieder, wo ich bin. Das Hotel ist nur wenige

Weitere Kostenlose Bücher