Quarantaene
Dünen versinkenden Ruinen einer Stadt, die so alt war, dass sie keinen Namen hatte, eine Ewigkeiten vor seiner Geburt aufgegebene und verlassene Stadt. Es machte häufig Rast und legte Pausen ein. Dennoch war es zum Ende seiner Reise hin sehr geschwächt, dehydriert, verwirrt und hilflos.
(Ich glaube, es hatte Mitleid mit mir, Tess. weil ich nie eine Stadt geliebt habe, während ich versucht war, es dafür zu bemitleiden, dass es nie eins seiner Mitgeschöpfe geliebt hat.)
Als es das Sterngebilde erreicht hatte, schien es ihm weniger Ehrfurcht gebietend als erwartet. Es schien eine fremdartige staubige Zusammenfügung von Rippen und Bögen zu sein, in deren Kern sich einst, das wusste es, ein Quantenprozessor befunden hatte, eine Maschine, die seine Ahnen auf dem Zenith ihrer geistigen Entwicklung gebaut hatten. Lag tatsächlich hier sein Schicksal begründet?
Es begann einiges mehr zu verstehen, als es ins Innere trat.
(Einiges von dem, was jetzt kommt, kann ich nicht erklären, Tess. Ich weiß nicht, wie die Sterngebilde das tun, was sie tun. Ich weiß im Grunde nicht, was Mirror Girl meint, wenn sie sagt, sie habe »Schwestern in den Sternen« und dieses Gebilde sei eine davon gewesen. Ich glaube, es geht hier um Dinge, die von unserem menschlichen Verstand furchtbar schwer nachzuvollziehen sind.)
Subjekt begriff, dass das, was im Innern des Gebildes auf es wartete, eine Art Apotheose war – sein physischer Tod, aber nicht das Ende seines Daseins.
Bevor es jedoch dazu kommen sollte, wollte es mehr über uns erfahren, denn es war neugierig; vielleicht ebenso neugierig auf uns wie wir auf das Subjekt.
Aus diesem Grund hat Mirror Girl mich zu ihm gebracht. Um Hallo zu sagen. Um eine Geschichte zu erzählen. Um auf Wiedersehen zu sagen.
(Eine Geschichte wie diese hier. Ergibt das irgendeinen Sinn, Tess? Ich wünschte, sie hätte einen besseren Schluss. Und ich entschuldige mich für all die großen Worte.)
Es war nahezu Nacht auf der westlichen Ebene. Der seidenblaue Himmel jenseits der Bögen färbte sich schwarz ein, und Schwärze wuchs wie etwas Lebendiges in den Schluchten und unter den nach Osten gewandten Felsterrassen. Marguerite fühlte sich seltsam schläfrig, als hätten die Nachwirkungen des Schocks ihr alle Energien entzogen.
Das Subjekt hatte seine Geschichte beendet. Jetzt wollte es seine Reise beenden. Es wollte in den Mittelpunkt des Sterngebildes und das aufsuchen, was dort auf es wartete. Marguerite spürte das Verlangen des Subjekts, sich abzuwenden, und sträubte sich plötzlich dagegen, es gehen zu lassen.
Sie sagte zu Mirror Girl: »Darf ich es berühren?«
Eine Pause. »Es sagt ja.«
Sie streckte die Hand aus und machte einen Schritt nach vorn. Das Subjekt verharrte reglos. Ihre Hand sah blass aus vor der rauen Struktur seiner Haut. Sie setzte ihre Finger auf die Stelle oberhalb des Mundschlitzes. Seine Haut fühlte sich an wie biegsame, von der Sonne gewärmte Baumrinde. Es überragte sie um einiges, und es roch absolut fürchterlich. Sie nahm ihren Mut zusammen und blickte in seine leeren weißen Augen. Sah alles. Sah nichts.
»Danke«, flüsterte sie. Und: »Es tut mir leid.«
Nachdenklich, langsam, wandte das Subjekt sich ab. Seine riesigen Füße machten auf dem sandigen Boden ein Geräusch wie das Rascheln von trockenem Laub.
Als es im schattigen Innenbereich des Sterngebildes verschwunden war, kniete Marguerite – die spürte, dass ihr Aufenthalt hier sich seinem Ende näherte – sich neben Mirror Girl nieder.
Wie seltsam, dachte sie, dieses Ding, diese Wesenheit, in der Gestalt von Tess zu sehen. Wie irreführend.
»Wie viele andere intelligente Spezies hast du kennengelernt? Du und deine Schwestern?«
Mirror Girl neigte den Kopf auf die Seite, auch dies eine typische Tess-Geste. »Abertausende von Vorläuferspezies«, sagte sie. »In Abermillionen von Jahren.«
»Kannst du dich an alle erinnern?«
»Ja, das können wir.«
Tausende von intelligenten Arten auf Welten, die um tausende von Sternen kreisten. Leben, dachte Marguerite, in einer fast unendlichen Vielfalt. Alle gleich. Keine zwei ganz gleich. »Haben sie irgendetwas gemeinsam?«
»Im physischen Sinne? Nein.«
»Dann vielleicht etwas nicht Greifbares?«
»Intelligenz ist nicht greifbar.«
»Darüber hinaus, meine ich.«
Mirror Girl schien über die Frage nachzudenken. Konsultierte womöglich ihre »Schwestern«.
»Ja«, sagte sie schließlich. Ihre Augen waren hell, hatten keine
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