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Quarantaene

Quarantaene

Titel: Quarantaene Kostenlos Bücher Online Lesen
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Jenseits der Stadt konnte Marguerite bewässertes Ackerland erkennen, dahinter wiederum braunes Buschland und ganz in der Ferne Berge, deren gezackte Linie mit dem Horizont verschmolz. (Und wenn sie die Augen schloss, konnte sie das Nachbild in konträren Farben sehen, als sei das alles nicht nur vermittelt durch eine Milliarden von Dollar teure unbegreifliche Technik, sondern als sei sie vielmehr tatsächlich dort, würde die dünne Atmosphäre atmen, den feinen brennenden Staub in ihren Nasenlöchern spüren.)
    Das Subjekt erreichte die Bodenebene, ging durch parallel geführte Bänder aus Licht und Schatten weiter bis zu dem Fabrikturm, in dem es seinen Arbeitstag verbrachte.
    Marguerite sah weiter zu, ließ ihre Schreibtischarbeit liegen. Sie war keine Primärbeobachterin und es war auch nicht sehr wahrscheinlich, dass ihr irgendetwas Relevantes auffallen würde, das den fünf Kernkommissionen entgangen war. Ihre Aufgabe war es, deren Beobachtungen zusammenzufassen, nicht, eigene anzustellen. Aber das konnte noch warten, wenigstens bis nach dem Mittagessen. Die Abriegelung hatte zur Folge, dass ihre Berichte von den Außendienststellen ohnehin nicht gelesen werden konnten. Sie hatte Zeit zum Beobachten.
    Zeit, wenn sie wollte, zum Träumen.
     
    In der Kantine im Westflügel der Plaza nahm sie ein schnelles Mittagessen ein. Ray war nicht da, aber sie sah seine Assistentin Sue Sampel, die sich an der Kasse einen Kaffee holte. Marguerite war Sue erst ein- oder zweimal begegnet, dennoch tat sie ihr aufrichtig leid. Sie wusste, wie Ray seine Untergebenen behandelte. Schon in Crossbank hatten seine Mitarbeiter ständig gewechselt. Wahrscheinlich hatte auch Sue bereits ihre Versetzung beantragt. Oder würde es bald tun. Marguerite winkte ihr zu; Sue nickte zerstreut zurück.
    Nach dem Mittagessen setzte Marguerite sich an ihren Papierkram. Sie prüfte einen besonders interessanten Bericht des Leiters eines Physiologie-Teams, der tausend Stunden Videomaterial durch einen Grafikprozessor geschickt, dazu die beweglichen Körperteile des Subjekts markiert und deren Bewegungen zum Wechsel von Tageszeiten und Situationen in Beziehung gesetzt hatte. Dieser Ansatz hatte eine überraschende Menge von harten Daten erbracht, die an alle anderen Abteilungen in Form eines Rundschreibens zur Kenntnisnahme verschickt werden mussten. Dieses Rundschreiben würde sie selbst erstellen müssen, mit Beiträgen von Bob Corso und Felix Kawakami von der Physiologie, sobald diese von ihrer Konferenz in Cancun zurückgekehrt waren … eine stichpunktartige Zusammenfassung, dachte sie sich, mit der Andeutung, dass noch mehr kommen würde, aber so knapp wie möglich, sodass die diversen Gruppenleiter sich nicht über die zusätzliche Informationslast beschweren konnten.
    Sie behielt das Subjekt auf dem Wandbildschirm, sodass sie von Zeit zu Zeit von ihrer Arbeit aufblicken und ihm bei seiner zusehen konnte. Subjekt arbeitete in einer Einrichtung, die man mit einiger Sicherheit als Fabrik bezeichnen konnte. Es stand an einem Sockel in einem sehr großen umschlossenen Raum unter einem Punktstrahler, der seine Arbeitsstation beleuchtete. Auf diese Weise, über punktgenaue Lichtstrahlen, wurden Hunderte von gleichartigen Eingeborenen voneinander abgegrenzt, hinter ihm aufgereiht wie phosphorizierende Pfeiler in einer düsteren Höhle. Subjekt nahm Teile (bislang noch nicht näher identifizierte zylindrische Module) aus einem Behälter seitlich des Sockels und setzte sie in vorgestanzte Scheiben ein. Die Scheiben stiegen auf einer erhöhten Plattform aus einer Kammer in seinem Sockel auf und senkten sich wieder, sobald es den Zylinder eingesetzt hatte. Dieser Kreislauf wiederholte sich etwa alle zehn Minuten. Den Vorgang als monoton zu bezeichnen, dachte Marguerite, hieße, die Grenzen des Understatements zu strapazieren.
    Aber etwas hatte ihre Aufmerksamkeit erregt.
    Weil das Subjekt mehr oder weniger an einem Punkt verharrte, war die virtuelle Kamera herumgefahren, um ihn von vorn abzubilden. Sie konnte Subjekts Gesicht sehen, hart konturiert im Licht von oben. Sofern man es ein Gesicht nennen konnte. Es gab Leute, die es als »Schrecken erregend« bezeichneten, aber das war es natürlich nicht, sondern einfach nur äußerst fremdartig. Schockierend zunächst, weil man einige der Teile, aus denen es zusammengesetzt war, erkannte (die Augen zum Beispiel, die wie menschliche Augen in knochigen Höhlen saßen, allerdings durch und durch weiß waren),

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