Quarantaene
westliche Wand des Büros einnahm.
Gutes Timing. Der Siebzehnstundentag von UMa47/E hatte soeben begonnen.
Morgen, und das Subjekt regte sich auf seiner Pritsche auf dem Steinboden der Wohneinheit.
Wie üblich lösten sich Dutzende von kleineren Lebewesen – Parasiten, Symbionten oder Abkömmlinge – von seinem Körper, wo sie sich an den unbedeckten Blutnippeln des schlafenden Subjekts genährt hatten, und stoben davon. Diese kleinen Tiere, nicht größer als Mäuse, vielbeinig und mit geschmeidigen Gliedern ausgestattet, verschwanden in allerlei Löchern und Spalten, dort wo die Sandsteinwände auf den Fußboden trafen. Das Subjekt setzte sich auf, erhob sich dann zu voller Größe.
Die Körpergröße des Subjekts wurde auf etwa zwei Meter zehn geschätzt. Ganz gewiss war er ein eindrucksvolles Exemplar. (Marguerite verwendete gelegentlich das männliche Personalpronomen, aber nur für sich. Sie hätte nie gewagt, in ihren offiziellen Schriftstücken Annahmen über das Geschlecht zu formulieren. Geschlechtlichkeit und Fortpflanzungsstrategien der Außerirdischen waren noch gänzlich ungeklärt.) Das Subjekt war ein Zweifüßer und bilateral symmetrisch, und aus großer Entfernung konnte man es, dem Umriss nach, mit einem Menschen verwechseln. Aber damit endete die Ähnlichkeit auch schon.
Seine Haut – es gab kein Außenskelett, wie der alberne Spitzname »Hummer« nahelegte – war eine robuste rotbraune Hülle mit kieselsteinartiger Struktur. Wegen dieser dichten, Feuchtigkeit bewahrenden Haut, wegen der auf der Bauchoberfläche freiliegenden Lungenlamellen und wegen solcher Details wie der Vielgliedrigkeit der Arme und Beine und der winzigen nahrungsverarbeitenden Gliedmaßen, die seitlich aus der Kieferpartie wuchsen, war verschiedentlich spekuliert worden, dass das Subjekt und seinesgleichen sich aus insektenartigen Formen entwickelt haben könnten. Eins der entsprechenden Szenarien entwarf das Bild einer Rasse von Invertebraten, die nach und nach die Größe und Mobilität von Säugetieren erlangt hatten, indem sie ihren Rückenstrang in eine chitinartige Wirbelsäule versenkt und ihre harte Schale zugunsten einer dicken, aber leichteren und flexibleren Haut abgeworfen hatten. Doch hatten sich kaum Nachweise für diese oder andere Hypothesen erbringen lassen. Exozoologie war schon kompliziert genug; Exopaläobiologie jedoch war der Wachtraum von einer Wissenschaft.
Subjekt war deutlich zu sehen in dem Licht der hell strahlenden Glühbirnen, die in einer Kette von der Decke hingen. Es waren kleine Birnen, eher an Weihnachtsbaumbeleuchtung als an Haushaltslampen erinnernd, doch ansonsten wirkten sie lächerlich vertraut, ja, sie waren vertraut: die Glühfäden aus gewöhnlichem Wolfram, wie die Spektroskopie ergeben hatte. Primitive, robuste Technik. Von Zeit zu Zeit tauchten andere Eingeborene auf, um verbrauchte Birnen auszuwechseln und den isolierten Kupferdraht auf Lücken oder Unregelmäßigkeiten zu untersuchen. Die Stadt verfügte über eine umfassende und verlässliche Wartungsinfrastrukur.
Subjekt kleidete sich nicht an und frühstückte auch nicht; noch nie war es beim Essen in seinem Schlafquartier beobachtet worden. Allerdings gab es über einem offenen Abfluss im Fußboden flüssige Ausscheidungen von sich. Die dicke grünliche Flüssigkeit ergoss sich aus einem Kloakenspalt im unteren Abdomen. Es gab natürlich keinen Ton zu den Bildern, aber Marguerites Phantasie war imstande, das Plätschern und Gluckern mitzuliefern.
Sie rief sich in Erinnerung, dass diese Ereignisse vor einem halben Jahrhundert stattgefunden hatten. Das Gefühl des Eindringens in eine private Sphäre wurde dadurch entschärft. Sie würde nie mit diesem Geschöpf sprechen, nie in irgendeiner Form mit ihm interagieren; dieses Bild, auf welch geheimnisvollen Wegen es auch gereist sein mochte, unterlag nach aller Wahrscheinlichkeit den Begrenzungen der Lichtgeschwindigkeit. Das Zentralgestirn 47 Ursa Majoris war einundfünfzig Lichtjahre von der Erde entfernt. (Und dementsprechend würde sie, falls es irgendwo in der Galaxie jemanden gab, der sie beobachtete, längst sicher in ihrem Grab liegen, bevor ihre Beobachter versuchen konnten, ihre Sanitärfunktionen zu interpretieren.)
Das Subjekt verließ seine Wohneinheit ohne weitere Vorbereitungen. Sein zweibeiniger Gang wirkte nach menschlichen Maßstäben etwas ungeschickt, aber es kam jedenfalls gut voran. Dieser Teil des Tages konnte unter Umständen interessant
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