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Quarantaene

Quarantaene

Titel: Quarantaene Kostenlos Bücher Online Lesen
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kund, verstand es aber, Marguerite zu schmeicheln, und offensichtlich hatte er sie von Anfang an daraufhin taxiert, ob sie für eine Ehe infrage kam. Was Marguerite nun aber schmerzlich lernen musste, war, dass für manche Männer die Ehe ein Freibrief ist, die Maske fallen zu lassen und ihr wahres, schreckliches Gesicht zu zeigen. Und das war nicht nur eine Metapher: Es schien Marguerite, als hätte sein Gesicht sich tatsächlich verändert, als hätte er den sanften, nachgiebigen Ray aus ihrer Verlobungszeit so vollständig abgeworfen wie eine Schlange ihre alte Haut. Ihre Menschenkenntnis war ganz offensichtlich miserabel gewesen.
    Was folgte daraus für Chris? Dass er eine Abriegelungsromanze war? Ein potenzieller zweiter Vater für Tess? Oder irgendwas dazwischen?
    Und wie konnte sie auch nur ansatzweise eine Vorstellung von der Zukunft entwickeln, solange die Möglichkeit einer solchen Zukunft tatsächlich jederzeit entfallen konnte?
    Chris hatte in seinem Kellerzimmer gearbeitet, aber er kam die Treppe hoch, als er sie in der Küche hantieren hörte, und sagte: »Hast du noch zu tun?«
    Nun, das war eine interessante Frage. Es war Samstag, sie musste nicht arbeiten, aber wo begann die Arbeit und wo hörte sie auf? Über Monate hatte sie ihre Aufmerksamkeit zwischen Tess und dem Subjekt aufgeteilt, und jetzt war auch noch Chris da. Für heute hatte sie geplant, ihre Aufzeichnungen zu vervollständigen und die Direktübertragung im Auge zu behalten. Die Odyssee des Subjekts setzte sich fort, obwohl die Sandsturmkrise vorbei war und die Ruinenstadt bereits weit hinter ihm lag. Es hatte die Straße verlassen und stapfte jetzt durch leere Wüstenlandschaft. Sein körperlicher Zustand hatte sich in Besorgnis erregender Weise verändert, aber es passierte nichts wirklich Entscheidendes, jedenfalls nicht im Moment. »Was hast du denn vor?«
    »Der Zustand des Piloten, den ich aus dem Wrack gezogen habe, hat sich stabilisiert. Ich dachte, ich besuche ihn mal.«
    »Ist er wach?« Marguerite hatte gehört, dass der Mann im Koma läge.
    »Noch nicht.«
    »Was für einen Sinn hat es dann, ihn zu besuchen?«
    »Manchmal geht es einfach darum, Verbindung aufzunehmen.«
    Zurück ins Auto, dann zurück auf die Straße mit Chris am Steuer, zurück durch den hellen, kalten Februarnachmittag und den vom Wind durch die Gegend getriebenen Abfall. »Wieso solltest du ihm etwas schuldig sein? Du hast ihm das Leben gerettet.«
    »Auf Gedeih oder Verderb.«
    »Wie kann es auf Verderb sein?«
    »Er hat schwere Verbrennungen. Wenn er aufwacht, wird er höllische Schmerzen leiden. Nicht nur das – sicherlich würden Ray und seine Kumpel ihn gern verhören wollen.«
    Wohl wahr. Niemand wusste, warum das kleine Flugzeug Blind Lake überflogen oder was der Pilot sich davon versprochen hatte, in eine ausgewiesene Flugverbotszone einzudringen. Aber der Vorfall hatte den Angstpegel in der Stadt merklich angehoben. In den vergangenen Wochen hatte es drei weitere Versuche gegeben, den Begrenzungszaun von innen her zu überwinden, jeweils durch Einzeltäter: einen Tagesarbeiter, einen Studenten und einen jungen Analysten. Alle drei waren von Pocketdrohnen getötet worden, wobei es der Analyst, der eine präparierte Thermojacke trug, um seine Infrarotsignatur zu verbergen, immerhin noch gut und gern fünfzig oder sechzig Meter weit geschafft hatte.
    Keine der Leichen war geborgen worden. Sie würden immer noch da sein, dachte Marguerite, wenn im Frühling der Schnee schmolz. Wie Überbleibsel aus einem Krieg, verbrannt, gefroren und wieder aufgetaut: biologische Rückstände. Futter für die Geier. Gab es Geier in Minnesota?
    Alle hatten Angst, alle wollten endlich wissen, warum Blind Lake unter Quarantäne gestellt worden war und wann diese Quarantäne beendet würde (oder, unaussprechlicher Gedanke, ob sie je beendet würde). Also würde man den Piloten in der Tat ins Verhör nehmen, in ein strenges Verhör vielleicht, und ja, er würde sicherlich Schmerzen leiden, trotz der neuralen Analgetika, mit denen die Ambulanz ausgerüstet war. Das aber entwertete nicht die mutige Tat, die Chris begangen hatte. Es war nicht das erste Mal, dass sie bei ihm diese Zweifel hinsichtlich der Konsequenzen einer guten Tat spürte. Vielleicht war sein Buch über Galliano eine gute Tat gewesen, wenigstens aus seiner Sicht. Ein wieder gutgemachtes Unrecht. Und er war dafür bestraft worden. Gebranntes Kind scheut das Feuer. Es schien allerdings noch mehr dahinter

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