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zwanzig Tags.«
Hollis sah auf die weiße Orchidee, die auf dem höheren Couchtisch blühte und stellte sich imaginäre Karteikärtchen daran vor. »Klingt faszinierend, Odile, aber lieber ein andermal. Ich muss mir Notizen machen. Verdauen, was ich bisher gesehen habe.«
»Sie wird verzweifelt sein, Beth Barker.«
»Sag ihr: ›Kopf hoch!‹«
»Kopf …!«
»Ich werde es mir bald ansehen. Wirklich. Und der Mohn ist wundervoll. Wir müssen darüber sprechen.«
»Okay. Gut.« Besserer Laune. »Ich sage es Beth Barker. Auf Wiedersehen.«
»Wiederhören.«
»Und, Odile?«
»Ja?«
»Deine Nachricht. Du sagtest, du wolltest über Bobby Chombo sprechen.«
»Ja. Will ich.«
»Das machen wir dann auch. Bye.«
Sie stand rasch auf, als könne sie ihr Handy so daran hindern, gleich wieder zu klingeln, und steckte es in eine Tasche ihres Morgenmantels.
»Hollis Henry?« Der Typ von dem No-Name-Autoverleih ein Stück weiter den Sunset hinunter blickte von ihrem Führerschein auf. »Hab ich Sie schon mal im Fernsehen gesehen?«
»Nein.«
»Wollen Sie Vollkasko?«
»Ja.«
Er machte drei Kreuzchen auf dem Vertrag. »Einmal unterschreiben, zweimal die Initialen. Film?«
»Nein.«
»Sängerin. In dieser Band. Glatzkopf mit der großen Nase,
Gitarre, Engländer.«
»Nein.«
»Vergessen Sie nicht zu tanken, ehe Sie ihn zurückbringen«, sagte er und musterte sie ruhig und ungeniert. »Das waren Sie.«
»Nein«, erwiderte Hollis und nahm die Autoschlüssel, »war ich nicht«. Sie ging hinaus zu ihrem Leihauto, einem schwarzen Passat, den Karton von Blue Ant unter dem Arm, stieg ein und stellte ihn auf den Beifahrersitz.
28. BROTHERMAN
Tito und Vianca packten den Inhalt von Titos Zimmers zu zehn Paketen unterschiedlicher Größe, jedes davon doppelt in extra starke schwarze Mülltüten gehüllt und mit festem schwarzem Klebeband versiegelt. Übrig blieben Titos Matratze, das Bügelbrett, der langbeinige Stuhl aus der Canal Street und der alte eiserne Kleiderständer. Sie hatten ausgemacht, dass Vianca das Bügelbrett und den Stuhl nehmen würde. Die Matratze, von der man annahm, dass sie genug Hautschuppen und Haare für einen DNA-Abgleich enthielt, würde auf die Mülldeponie geschafft werden, sobald Tito das Gebäude verließ. Vianca hatte sie in zwei der schwarzen Plastiktüten verpackt, ehe sie das Zimmer saugte. Die schwarzen Tüten machten eigenartige Raschelgeräusche, wenn man auf der Matratze saß. Tito würde darauf schlafen müssen.
Tito griff noch einmal nach dem Nano an der Kordel um seinen Hals, dankbar seine Musik bei sich zu haben.
»Wir haben den Tschainik eingepackt«, meinte er. »Und den Kessel. Wir können keinen Tee machen.«
»Ich möchte das Zeug nicht noch einmal abwischen.«
»Carlito hat Alejandro und mich Tschainiks genannt«, sagte Tito zu Vianca. »Er meinte damit, dass wir Ignoranten sind, aber lernwillig. Kennst du diese Bedeutung des Worts ›Tschainik‹?«
»Nein«, sagte Vianca und sah dabei wie ein sehr hübsches, sehr gefährliches Kind aus, unter ihrem weißen Haarnetz. »Ich weiß nur, dass es Teekanne heißt.«
»Ein Hackerbegriff, russisch.«
»Hast du jemals das Gefühl, dass du dein Russisch vergisst, Tito?«, fragte Vianca auf Englisch.
Ehe er antworten konnte, klopfte jemand gemäß Protokoll leise an die Tür. Vianca erhob sich mit vollendeter Grazie aus ihrer Hocke auf der Matratze, mit gespannten Muskeln, aber doch geschmeidig wie eine Schlange, um eine Antwort zu klopfen. »Brotherman«, sagte sie und schloss die Tür auf.
»Hola, viejo«, sagte Brotherman, nickte Tito zu und zog sich ein schwarzes Strickstirnband herunter, mit dem er seine Ohren warmhielt. Er trug sein Haar als Turmmähne, die mit Peroxid eigenartig dunkelorange gebleicht war. Laut Juana war bei Brotherman etwas Afrikanisches im Kubanischen an die Oberfläche gekommen, ehe es sich mit dem Chinesischen mischte. Brotherman trug das ostentativ zur Schau, zu seinem Vorteil und dem der Familie. Er war völlig zwiegespalten, was seine Rasse anbetraf. Ein Chamäleon, dessen Spanisch flugs zwischen dem des Kubaners, Salvadorianers und Chilango wechselte. Sein schwarzes Amerikanisch war für Tito oft nicht zu verstehen. Er war größer als Tito und dünn, hatte ein langes Gesicht, das Weiß seiner Augen durchzogen mit Rot. »Llapipa«, begrüßte er Vianca mit einem Nicken, Backslang für Papilla, Teenager.
»Hola, Brotherman. Que se cuenta?«
»Wie immer«, sagte Brotherman und beugte sich
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