Quellen innerer Kraft
ungehindert strömt. Sie droht zu versiegen. Ihr Wasser verrinnt dann irgendwo im Erdreich. Beim Propheten Jeremia gibt es das Bild der rissigen Zisterne, deren Wasser in der umgebenden Erde nutzlos versickert. Die Bibel nennt Gott selbst die unerschöpfliche Quelle. Jeremia hält den Menschen vor, sie hätten Gott, den Quell des lebendigen Wassers verlassen, „um sich Zisternen zu graben, Zisternen mit Rissen, die das Wasser nicht halten“. (Jer 2,13) Das ist ein Bild, dasheute viele anspricht: Sie wissen nicht, wo das Wasser geblieben ist, aus dem sie einmal geschöpft haben. Es ist versickert. Irgendwo.
Brunnen und Quellen gehören zu den Grundbildern unserer Kultur, weil wir ohne Wasser nicht leben können. Als die Mönche der Abtei Münsterschwarzach nach der Wiederbesiedlung des Klosters im Jahre 1913 einen Brunnen bohrten, stießen sie in 5 Metern Tiefe bereits auf Wasser. Doch das war nur Oberflächenwasser. Es versickerte schnell. Wenn es heiß wurde, hörte es auf zu fließen. Das Wasser war zudem vielen Trübungen ausgesetzt. Die Mönche mussten weiter bohren, bis sie in 80 Metern Tiefe endlich auf Grundwasser stießen. Dieses Grundwasser nun war fast unerschöpflich. Selbst wenn sie großen Wasserbedarf im Sommer hatten – der Grundwasserspiegel sank kaum.
Für mich ist das ein schönes Bild: Wenn wir nicht genügend in die Tiefe gehen, dann stoßen wir nur auf trübes Wasser. Manchmal scheinen diese Quellen durchaus klar zu sein. Wir können daraus unseren Durst stillen. Doch sobald wir eine Zeitlang daraus getrunken haben, versiegen sie. Es sind Quellen, die nur in der Oberfläche unserer Seele entspringen. Sobald es in unserem Leben hitzig wird, vertrocknen sie. Und sie trüben sich ständig durch die Einflüsse von außen. Manche Quellen sind auch in sich schon trüb, so dass sie nicht wirklich Energie spenden können. Wir dürfen also nicht an der Oberfläche bleiben, wenn wir klares, lebensspendendes Wasser haben wollen. Wir müssen vorstoßen bis zu jenen Quellen, die uns wirklich erfrischen, die unser Leben befruchten und die das Trübe in uns klären.
Jeder von uns kennt den Unterschied in seinem eigenen Alltag: Manchmal können wir viel arbeiten und wirken, ohne erschöpft zu werden. Wenn wir zum Beispiel im Urlaub an einem sonnigen Morgen aufstehen, trauen wir uns ohne weiteres eine große Wanderung zu. Sie macht uns an solchen Tagen trotz aller Strapazen auch Spaß. Und dann gibt es aber auch Tage, an denen wir nichts zuwege bringen. Wir fühlen uns müde und erschöpft. Wir haben keinen richtigen Antrieb. Bisweilen lähmt uns auch ein Gefühl von Unlust. Wir möchten gar nicht auf das schauen, was uns heute erwartet. Angst vor einem Mitarbeiter kann uns blockieren. Der Druck, dem wir uns in der Arbeit ausgesetzt fühlen, raubt uns alle Energie. Die Frage ist, woraus wir unsere Kraft schöpfen?
Wir können bei uns beobachten: Manchmal strömt es in uns selber, und es blüht dann auch um uns herum auf. Doch wir kennen auch das Gegenteil: dass wir uns erschöpft fühlen, unzufrieden und bitter. Wir können davon ausgehen: Immer wenn wir erschöpft sind, schöpfen wir aus einer trüben Quelle.
Erschöpft zu sein bedeutet etwas anderes als müde zu sein. Es gibt eine „redliche Müdigkeit“. Wenn wir von einer anstrengenden Wanderung nach Hause kommen, sind wir „rechtschaffen müde“. Aber in einer solchen Müdigkeit fühlen wir uns zugleich immer auch wohl. Wir spüren uns. Wir sind dankbar für das, was wir geleistet haben. Wir fühlen uns trotz allem lebendig. Auch wenn wir einen anstrengenden Arbeitstag hatten, sind wir müde. Aber diese Müdigkeit ist zugleich von Dankbarkeit erfüllt. Wir sind von dem positiven Gefühl bestimmt: Es hat sich gelohnt, sich für die Menschen einzusetzen.
Natürlich hängt die Müdigkeit in aller Regel auch mit dem Ergebnis der Arbeit zusammen. Wenn wir Erfolg hatten, dann ist es eine positive Müdigkeit, während ein Misserfolg uns unzufrieden macht. Aber zumindest fragen sollten wir uns immer dann, wenn wir erschöpft und bitter, unzufrieden und leer sind: Aus welcher Quelle haben wir gerade geschöpft? Dabei ist es ganz natürlich und keineswegs ungewöhnlich, dass wir immer auch aus trüben Quellen schöpfen. Die Aufgabe wäre es dann allerdings, dies auch wahrzunehmen und tiefer zu graben, um mit den klaren und erfrischenden Quellen in Berührung zu kommen.
Quellen haben seit jeher etwas Faszinierendes gehabt und als besondere Orte auch
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