Quellen innerer Kraft
erschöpft sei. Die Antwort war klar und unmissverständlich: „Du bist erschöpft, weil du jedem, der in deine Vorlesung kommt, beweisen willst, dass er die richtige Vorlesung gewählt hat. Und jedem Klienten willst du beweisen, dass er den richtigen Therapeuten gewählt hat. Dieses Dich-Beweisen-wollen erschöpft dich. Wenn du aus der Quelle des Gebetes schöpfen würdest, wäre deine Vorlesung nicht anstrengend.“ Mir leuchtete diese Bemerkung sofort ein, als ich sie las. Es war mir selbst so gegangen: Als ich vor zwanzig Jahren Vorträge hielt, setzte ich mich oft unter Druck. Ich wollte den Zuhörern beweisen, dass ich ein guter Redner sei. Ich litt unter der ehrgeizigen Vorstellung, alle sollten zufrieden den Saal verlassen. Einen Vortrag zu halten ist nicht anstrengend, wenn man den Kehlkopf nicht falsch einsetzt. Anstrengend wird er durchden Druck, den wir uns selbst machen. Sei es der Ehrgeiz, andere zu übertreffen oder sei es der Druck, sich beweisen zu müssen, oder der Anspruch, alle zufrieden zu stellen, bei allen beliebt zu sein, von allen anerkannt zu werden: All diese inneren Haltungen führen zur Erschöpfung. Wenn ich einfach sage, was mein Herz bewegt, dann raubt mir der Vortrag nicht nur keine Energie, sondern ich werde beim Sprechen sogar noch lebendiger und frischer.
Sich selbst unter Erwartungsdruck zu setzen , auch das ist eine Haltung, der ich oft begegne. Im Gespräch mit Lehrern erfahre ich häufig, dass sie meinen, ihre Stunden optimal vorbereiten zu müssen. Sie brauchen sehr lange, bis die Stunde so „steht“, dass sie damit zufrieden sind. Aber auf diese Weise werden sie nicht nur nie fertig mit der Arbeit. Sie verlieren auch die Lust an der Arbeit. Sie haben keinen Spaß daran, kreativ zu sein und neue Wege im Unterricht auszuprobieren. Woher kommt dieser Druck, es möglichst gut zu machen? Und wer macht ihnen diesen Druck? Wenn ich diese Frage stelle, höre ich: die Schule sei dafür verantwortlich, der Direktor erwarte von ihnen perfekte Arbeit, oder die Eltern stünden ihnen im Nacken. Meine Antwort ist: Letztlich bin ich es immer selbst, der sich den Druck macht. Ich beuge mich vor irgendwelchen Ansprüchen, vor den Ansprüchen meines eigenen Über-Ichs oder vor den Erwartungen anderer. Dabei sind wir frei, zu sagen: Ich muss ja die Erwartungen nicht erfüllen. Die anderen dürfen ja ihre Erwartungen ruhig haben. Aber ich bin frei, wieweit ich ihnen entsprechen will.
Ähnlich wie den Lehrern geht es vielen Pfarrern. Sie setzen sich vor jeder Predigt unter Druck, weil sie sich vor irgendwelchen Zuhörern profilieren wollen. Die einen wollen dieAkademiker unter den Zuhörern ansprechen, die andern den einfachen Mann auf der Straße oder die Hausfrau, die in der Bank vor ihnen sitzt. Oder sie wollen vor allem junge Menschen erreichen und suchen krampfhaft nach einer unkonventionellen oder „modernen“ Sprache, die den Jargon der Jugendlichen nachahmt. Ich frage dann meist: Bilden sie sich nicht ein Phantom von den Zuhörern? Und ich bin überzeugt: Sie machen sich ein Bild davon, anstatt sich einfach auf die konkreten Zuhörer und Zuhörerinnen einzustellen und ihnen das zu sagen, was ihr eigenes Herz bewegt. Oft ist es die Messlatte eigener Absichten und persönlicher Ziele, die einen unter Druck setzt, etwas besonders gut zu machen. Die Hörer merken sehr wohl, ob der Prediger etwas bezwecken will oder ob er durchlässig ist für den Geist Gottes, der durch ihn sprechen möchte.
Was ich bei Lehrern und Pfarrern beobachte, gilt letztlich für alle Menschen, die etwas von sich in der Öffentlichkeit zeigen müssen: für Redner, Politiker, Führungskräfte. Aber auch für Verkäufer und Vertreter. Auch da erlebe ich viele, die sich unter Druck setzen. Man merkt es ihnen an, dass sie ihre Verkaufsseminare verinnerlicht haben. Aber ich begegne dann nicht Menschen, sondern Vertretern einer Firma, die nur ihre Rolle spielen. Und ich spüre, wie viel Energie bei diesen Menschen verloren geht, weil sie auf die richtige Präsentation fixiert sind, aber nicht in Berührung sind mit sich selbst. Sie wollen möglichst viel Umsatz machen und ihre Produkte effizient anpreisen – und verleugnen dadurch ihre Persönlichkeit. „Ich kaufe jemand etwas ab“, das heißt in unserer Alltagssprache oft nichts anderes als: „Er erscheint mir glaubwürdig.“ Bei mir erreichen Vertreter, die mir ein Loch in den Bauch reden, nur um ihre Waren loszuwerden, nicht viel. Sie gehen in ihrerRolle
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